Shon‘ Jir - Gilde der Magie

Es sprach der Vater des Meisters, von dem man behauptet, er habe die Gestalt eines Drachen, einst zu seinem Sohn:

"Ehn Shabach, en rhed mynjir. Guhn deh mahaat Morwenn firehn kamuhl."

was übersetzt etwa soviel heißt wie:

"Du bist Enrhed, der Pfeiler der Magie. Wer durch dich geht, wird selbst zur Säule der Macht werden."

Es ist heute die Losung unter den Gildemagiern und ihr Erkennungszeichen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Überblick

Aus dem Reisetagebuch des Händlers Stophanus des Älteren, Reisender auf der großen Südstraße von Loth Fehir nach Ainur im Jahre 683 n.N.d.E.

Gelegen inmitten der Hügel des Mirond-Hochlands bildet die Shon‘ Jir in diesem entlegenen Winkel von Chemlon einen buchstäblich magischen Anziehungspunkt für Reisende, Pilgerer und Händler aller Art. Besucher der Gilde der Magie stoßen an diesem Ort des gegenwärtigen und vergangenen Wissens auf wundersame und manchmal auch beängstigende Dinge, die in der Fremde durch Gerüchte wuchsen und sie mancherorts schon zu Legenden machten. Nichtsdestotrotz ist die Shon’Jir ein Ort an dem es sich für kurze Zeit leben läßt und wenn man nicht allzu neugierig ist auch für länger. Es ist allemal auch ein Ort der ebenso vor Unbillen des Wetters hier in der Wildnis schützen kann, wie vor Räubern, Orks und ähnlichem Gesindel und nur für kurze Zeit wurde sie von Kräften des Dunklen im letzten großen Krieg überwunden.

Der Reisende, der sich der Gilde der Magie nähert, muß zunächst einige Tage durch verwilderte Hügel und Täler, die schon seit Menschengedenken unbewohnt sind, wandern, ehe er schließlich eine unbewaldete Ebene erreicht. Inmitten dieser Ebene, die von Armen des mächtigen Flusses Mirond durchzogen ist, befindet sich ein nackter Hügel. Man sagt, dieser Hügel sei angenagt und tatsächlich sieht die Nordseite des Hügels so aus, als habe ein Riese einfach ein Stück herausgebissen, wie ein Gassenjunge ein Stück von seinem Brot abbeißt.

Auf der Kuppe des Hügels, dicht an der Abbruchkante, liegt eine kleine Ansammlung von Gebäuden, wie man sie von der Erscheinung her aus den vornehmen Stadtvierteln von Loth Fehir oder anderen großen Städten kennt. Eine Straße aus gestampftem Lehm führt durch die Ebene und schließlich auf das Anwesen zu. Kommt man näher, erkennt man, daß drei erhabene Bäume das Anwesen überragen, deren Wuchs und Größe das Maß anderer Bäume bei weitem übertrifft. Erreicht man schließlich den Hügel selbst, erkennen erfahrene Reisende, daß der Weg sich in einer Kurve über den Rücken eines Hügels zieht und das Anwesen sich so stets außerhalb direkter Sicht befindet.

Die Shon‘ Jir sieht man erst wirklich, wenn man schon vor ihren unsichtbaren Toren steht. Zwei Pfosten säumen den Weg, eine Glocke an einem Holzgestell und ein Schild auf dem in verschiedenen Sprachen ein Willkommen geschrieben steht und die Aufforderung, die Glocke zu läuten. Dahinter vielleicht dreihundert oder vierhundert Schritt, bis man im Hof der drei Gebäude steht. Kein Tor oder Zaun oder gar eine Wachmannschaft ist zu sehen.

An dieser Stelle scheiden sich häufig die Geister und viele Leute sagen, dieses wäre so etwas wie eine Prüfung. Denn wenn man versucht, ohne die Glocke zu schlagen weiterzugehen oder gar zu Pferde zu galoppieren erlebt man eine böse Überraschung. Alle, die blindlings vorwärtsstürmen, werden zu Boden gerissen, vorsichtige Schritte enden nach wenigen Metern und es ist dabei ein Gefühl, als würde man gegen einen starken Sturm angehen. Umrundet man das Anwesen kann man einen Zirkel der Abwehr ertasten, der einen Durchmesser von mehr als fünfhundert Schritt hat. Aber bis dahin wird man natürlich längst bemerkt...

Schlägt man jedoch die Glocke und wartet, so erscheinen nach kurzer Zeit mehrere kleine Gestalten, die man zum Volk der Halblinge zählt. Vier von ihnen sind leicht bewaffnet und gewappnet, zwei andere bringen Honig, Brot und Bier herbei und fragen nach dem Begehr. Sie weisen darauf hin, daß dieser Ort von Uneingeweihten nicht betreten werden darf, außer in der allerhöchsten Not, aber der Platz der Gäste vor den Toren der Gilde steht jederzeit offen. Sie schaffen, wenn man dieses Angebot annimmt, Zelte, Proviant und gute Lager herbei und bewirten ihre Gäste, wie nur Halblinge es tun können. So kann man es sich eine zeitlang gut gehen lassen. Bisweilen, vorwiegend im Sommer, entwickelt sich durch die wachsende Zahl andauernder Besucher der Platz der Gäste sogar in eine Art Sommerlager mit fliegenden Händlern, arbeitslosen Barden, Jongleuren und Messerwerfern.

Dennoch bleibt niemand gern allzu lange hier, außer vielleicht die Bewohner des einige Tagesreisen entfernt liegenden Shey Muhn, von denen mancherorts behauptet wird, sie seien verflucht. Denn alle spüren, daß an diesem Ort etwas Außergewöhnliches ist. Und das ist nicht nur die Gilde der Magie und ihr Schutzzirkel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Wege hinein

Maracis, Novize des dritten Kreises im Jahr des Herrn 687 n.N.d.E.

Das wichtigste Element der Shon‘ Jir ist natürlich, wie ihr Name schon sagt, die eigentliche Gilde der Magie. Sie wurde gegründet und mit Leben erfüllt von unser aller Meister und geliebtem Herrn Enrhed von den Fällen des Mirond im Jahre des Herrn 666 n.N.d.E., lange vor der großen Schlacht des Südens, ja sogar lange vor dem Beginn des großen Krieges gegen das Dunkel. Nach den Aufzeichnungen der Gilde, die in den ersten Jahren noch durch den Meister persönlich geführt wurden, dient die Gilde der Magie dem Erhalt der Kenntnisse der magischen Talente und Künste, welche in Chemlon seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit dem Ende der Elfenherrschaft auf dem Rückzug sind. Sie erwählt Zauberlehrlinge aus dem Volk der Reisenden, die an ihren Toren Halt machen und stellt Prüfungsaufgaben an diejenigen, die sich von selbst um eine Aufnahme in der Gilde bemühen. Häufig wurde die Gilde jedoch dank dem Geschick des Meisters zu einem Zentrum des Geschehens im großen Krieg und war Treffpunkt für viele bedeutende Gestalten, die wir heute nur noch aus Liedern und Legenden kennen. Aber laßt mich von vorn beginnen und erzählen, wie mein Faden in das Gewebe der Shon‘ Jir geriet.

Früher diente ich als Lehrling des zwergischen Kaufmanns Farl Eichenhaupt und zog mit ihm und seinem Wagen durch die Lande. So kam es, daß wir auch an der Shon‘ Jir Halt machten, um Waren zu verkaufen und hier inmitten der Wildnis Schutz vor Gefahren zu suchen. Ich hatte schon häufiger von den seltsamen Geschichten gehört, die sich um die Shon‘ Jir ranken aber damals war ich zum ersten Mal tatsächlich an jenem Ort. Ich brannte darauf, den Ort kennenzulernen und jung und unerfahren wie ich war, begab ich mich sofort auf die Suche nach Barden und Geschichtenerzählern, die ich an diesem Ort vermutete, um neue Berichte zu hören, die mit diesem Ort zusammenhingen. Der gute Farl – er warnte mich noch davor, mich nicht allzu tief in den Zauber der Legenden zu begeben und erst Recht dem ganzen keinen Glauben zu schenken. Aber wie die Jungen nun einmal sind, war der Sonnenuntergang noch nicht einmal angebrochen, als ich schon am Lagerfeuer eines alten Schaustellers lag und begierig seinen Worten lauschte. Er erzählte von den lieblichen Gärten mit dem immerwährenden Sommer, von den Köstlichkeiten der Speisekammern, von der Gelehrigkeit der Magieschüler und von der Gelehrtheit der Meistermagier. Er erzählte von den säulengeschmückten Hallen des Anwesens, von den luxuriösen Quartieren für hohe Gäste, von den Ställen für edle Rösser, die man bisweilen sogar hier draußen vor den Toren wiehern hört und von den Halblingen, die dem Meister treu bis in den Tod ergeben sind.

Anfangs dachte ich noch, daß er, um mir zu gefallen, seine Erzählungen allzu reich ausschmückte aber dann glaubte ich zu erkennen, daß er selbst schon im Innern des Abwehrzirkels um die Gilde gewesen war und das er somit die Wahrheit sprach. Auf meine Frage, wie er in den Zirkel, von dem auch ich schon gehört hatte, gelangt sei, antwortete er, es gäbe drei Wege hinein, tatsächlich sogar vier Wege, von denen einer jedoch nahezu unbeschreitbar wäre.

Der erste Weg sei der einfachste. Man müsse nur berühmt und einflußreich sein und schon würden die Halblinge den Abwehrzirkel für einen senken. König eines Landes, ein berühmter Astrologe oder sonstiger Gelehrter oder auch ein bekannter Barde zu sein gereicht an Ehre, um als Gast für kurze Zeit aufgenommen zu werden.

Der zweite Weg ist schon ein wenig komplizierter. Man muß ein Einwohner des Dorfes Shey Muhn sein, um in den Zirkel vordringen zu können. Und es reicht nicht, sich erst jetzt eine Hütte dort zu kaufen oder zu bauen, sondern man muß schon immer Einwohner gewesen sein und darf nicht die Absicht besitzen, die Gemeinschaft des Dorfes zu verlassen. Denn nur solchen Bewohnern Shey Muhns wird der magische Abwehrzirkel geöffnet.

Der dritte Weg ist jener, der gewöhnlich beschritten wird. Bei diesen Worten sah er mich so durchdringend an, daß ich glaubte, er könne meine Gedanken lesen. Ein Schreck durchfuhr mich und schnell schlug ich meine Augen nieder, denn ich dachte in diesem Moment, wie es wohl wäre, wenn ich selbst versuchte, einen dieser Wege zu beschreiten, um das Innere der Shon‘ Jir zu erleben. Als ich die Augen wieder aufschlug sah ich, daß sich etwas im Gesicht des alten Schaustellers verändert hatte. Sein freundliches Gesicht hatte plötzlich harte Züge bekommen und seine Augen hatten senkrecht stehende Pupillen, wie Schlangen in der Helligkeit des Tages. Der dritte Weg sagte er, wäre der, auserwählt zu sein, ein Angehöriger der Shon‘ Jir zu werden. An der Art des Blickes erkannte ich, daß er damit mich gemeint hatte und er hielt mich in seinem Bann. Vor meinen Augen stiegen Visionen empor von altem Wissen und Legenden, von Drachen und Elfen und die Gewißheit, daß sich mein Leben, wenn ich dem drängenden Blick nachgäbe, für immer verändern würde. In mir stieg die Panik auf und ich versuchte dem Blick zu entgehen und schließlich gelang es mir. Ich rappelte mich von meinem Lager hoch und rannte blindlings weg, ohne noch einen Blick auf den Schausteller zu werfen.

Erst nach ein paar Momenten kam ich zur Besinnung und hielt an. Als ich mich umschaute, stellte ich fest, daß es bereits tiefe Nacht geworden war. Der Lärm des Lagers drang gedämpft und friedlich zu mir herüber und ich fragte mich, ob ich vielleicht eingeschlafen und das ganze nur geträumt haben sollte. Aber dann wandte ich mich zu den entfernten Gebäuden der Shon‘ Jir um und erkannte, daß ein einsamer Lichtstrahl von bläulicher Farbe in den Himmel stieg, um sich im schwarzen Firmament zu verlieren. Irgendwie machte mich das sicher, nicht geträumt zu haben, denn diesen Lichtstrahl meinte ich auch in den Augen des Schaustellers gesehen zu haben.

Ich ging also zurück zu Farl und unserem Wagen und kroch trotz der sommerlichen Nacht fröstelnd in das Zelt. Farl bemerkte mich und fragte, wo ich gewesen sei. Als ich ihm keine Antwort gab, sondern nur vor mich hinbrummte – ich hatte einfach keine Lust über mein Erlebnis zu reden – fügte er hinzu, daß heute Abend ein Mann dagewesen sei, der mich sprechen wollte. Er hatte einen Brief dagelassen und die Aufforderung, ihn sofort zu lesen. Wieder beschlich mich dieses komische Gefühl, und ich beschloß, mir diesen Brief sofort anzuschauen.

Es war eine Karte von dem Hügel auf dem die Shon‘ Jir lag, dem Sommerlager und der Abbruchkante. Etwa in der Mitte der Kante war an ihrem Fuß ein Kreuz eingezeichnet und das gebräuchliche Zeichen des Sonnenaufgangs. Dazu waren die Sätze – Dieses ist der dritte Weg. Gehe immer nur den rechten Pfad und lasse die Angst nicht Sieger sein – in schwungvoller Handschrift geschrieben. Darunter prangte ein unbekanntes Siegel mit einer Drachenschwinge als Emblem. Als ich dieses las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Es war eine Einladung oder eine Aufforderung an mich, etwas zu tun oder zu lassen, eine Entscheidung zu treffen. Wieder stiegen in mir Visionen auf, mein Leben könnte sich bedeutender gestalten, als in Gestalt eines Händlergehilfen von Farl Eichenhaupt. Möglicherweise hatte ich ja, ohne es zu wissen, die Anlagen eines Zauberkundigen oder Astrologen.

Ich fällte also eine Entscheidung. Schwindelig vor Erregung über die bevorstehenden Ereignisse setzte ich mich in den Wagen und verfaßte einige kurze Zeilen an meinen alten Meister Farl, indem ich ihn über mein Weggehen in Kenntnis setzte. Ich vergaß nicht zu erwähnen, daß ich mich berufen fühlte. Aus meiner heutigen Sicht erscheint es mir so, daß auf diese Weise die meisten der “unerklärlichen Ereignisse” um und bei der Shon‘ Jir zustande kommen. Aus den hastig gekritzelten Abschiedsbriefen von jungen Novizen an ihre ehemaligen Herren und einer guten Portion Phantasie. Danach verließ ich das Lager ohne irgendwelche Sachen zu packen außer ein wenig Proviant, die Laterne und mein gutes Entermesser. Farl Eichenhaupt habe ich bis heute nicht wiedergesehen und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Ich machte mich also auf den Weg zum Fuß der Klippe, welches ein hartes Stück Kletterarbeit oder einen weiten Umweg über die Straße bedeutete und ich entschied mich für die Kletterpartie. Wie gut, daß ich in meiner gebirgigen Heimat schon ein wenig Erfahrung im Klettern erworben hatte, denn für Anfänger wäre der Abstieg wohl zu gefährlich gewesen. Schließlich erreichte ich aber doch den Fuß der Klippe und erkannte dort, wo auf der Karte das Kreuz eingezeichnet war, den Eingang einer Höhle, vielleicht sechs Schritt breit wie hoch.

Ich wartete noch bis Sonnenaufgang, dann betrat ich die Höhle, an deren Rückwand drei Eingänge zu sehen waren. Die Höhle selbst war kahl und roh aus dem Stein gehauen. Der Boden war trocken und sandig, ungewöhnlich für einen so nah am Wasser liegenden Ort.

Ich nahm den rechten Pfad, der durch einen Gang abwärts führte und mehrfach ohne mir erkennbaren Grund die Richtung wechselte und schließlich nach mehreren Dutzend Schritten in einer Halle endete, aus der in viele Richtungen weitere Gänge abzweigten. In der Mitte der Halle und an den Gängen verstreut lagen Gerippe von Männern, Zwergen, Orks und was sonst nicht noch alles. Die Luft war dennoch gut, denn ein starker Luftzug durchströmte die Halle und trug aus verschiedenen Richtungen Geräusche heran. Ich weiß noch, daß mir gar nicht behaglich zumute war, denn einige der Geräusche waren ohne Zweifel Schmerzenslaute, Kettengerassel und derbe Stimmen. aber ich lies mich von der Angst nicht überwältigen und blieb auf dem rechten Pfad. Nun – ich will die Erzählung in dem Irrgarten unter der Shon‘ Jir nicht allzuweit ausufern lassen – auf jeden Fall erreichte ich nach einigen Stunden des strammen Fußmarsches und nach etlichen Schrecksekunden wohlbehalten den untersten Zugang zum vierten Keller der Gilde. Ich bin heute überzeugt, daß ich ohne den Hinweis auf den rechten Pfad und die Angst niemals lebend durch den fünften Keller gelangt wäre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Gilde

Caisa Dauki, Magier des sechsten Kreises, Bibliothekar dritten Ranges der Shon‘ Jir, 692 n.N.d.E.

Die Eingeweihten unter uns sagen hinter vorgehaltener Hand, die Gilde der Magie sollte sich eigentlich Gilde der Macht nennen, aber der Meister lehnt eine solche Titulierung immer noch ab. Zwar sieht er ein, daß zumindest in den Bereichen der Magie die Shon‘ Jir zu dem besten gehört, was Chemlon zu bieten hat, aber die Überhöhung des Eigenen liegt ihm fern. Aber ich schweife mit den Gedanken ab. Ich sollte Ihnen von den grundsätzlichen Strukturen berichten.

Im Grunde ist es ganz einfach:

Das Studium der Magie ist eine der kompliziertesten Materien überhaupt, und es erfordert höchste Konzentration und Aufmerksamkeit tief genug vorzudringen, um sich Magier nennen zu dürfen.

Angehende Gildemagier beginnen im ersten Kreis der Magie. Sie bewohnen die Klausurkammern des dritten Kellers. Ihr Tagesablauf wird von den Lehren der Grundzüge der Magie ebenso bestimmt, wie von den Dingen des Alltags, die sie für die anderen der Gemeinschaft zu bewältigen haben. Dieses wird das Stadium der Novizen genannt.

Nach wenigen Jahren des Studiums erreichen nicht wenige von den Novizen ihren Abschluß. Sie legen eine Prüfung vor dem Meister ab, in der sie ihr Können unter Beweis stellen müssen. Bei einem Scheitern verbleiben sie für weitere Studien im Novizenstadium.

Ein Erfolg bringt sie jedoch in das Stadiums des Geweihten. Dieses Stadium fordert eine weitere Entscheidung im Leben eines Gildemagiers. Es stellt ihn vor die Wahl, hinaus in die Weiten Chemlons zu ziehen und zum Wohl der Gilde zu wirken oder für weitere Studien am Ort zu verbleiben. So oder so müssen sie sich jedoch bei der Göttin Nayrenn schwören, den obersten Prinzipien der Gilde zu gehorchen, welche da lauten:

1.Du sollst dich nicht dem Chaos untertan machen, auf welche Weise es sich dir auch immer nähern mag.

2.Du sollst dich nicht für eine Seite entscheiden, ohne die andere zu kennen.

3.Du sollst dem Meister gehorchen und der Gilde dienen bis das die Magie erlischt.

Dieses sind die Kernprinzipien der Gildemagier. Wer sie verletzt, zieht Ahndungen unterschiedlicher Intensität nach sich. Es seien also alle Magier gewarnt, die dieses Ansinnen haben.

Diejenigen unter den Geweihten, die nun ausziehen, um die Welt zu erkunden, werden ausgerüstet für die langen Wanderungen. Ihnen stehen angemessene Gildekleidung (eine schwarzgraue Robe), Proviant, Buchkopien und ähnliches zur Verfügung. Manche von ihnen, die beabsichtigen, in bestimmte Teile der Welt zu reisen werden vom Meister oder seinen Vertretern aufgefordert Botschaften zu überbringen oder Nachrichten auszutauschen. Außerdem werden sie eingeladen und aufgefordert, in bestimmten Zeitabständen zurückzukehren.

Die anderen, denen ein Abschied schwerfällt, wenden sich nach einem Umzug in den zweiten Keller wieder ihren Studien oder neuen Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft zu. Diese umfassen die Verwaltung der großen Bibliothek der Shon‘ Jir mit all ihren vergessenen Karten, Texten, Zauberkünsten und Geheimnissen. Manche werden auch als Lehrer und Mentor für neue Novizen eine Aufgabe finden und die besten werden sich speziellen Forschungsrichtungen innerhalb der Magietheorie zuwenden.

Auf diese Weise entsteht in Chemlon ein Knotenpunkt des Wissens und der Erfahrungen. Die einen tragen Wissen, Gerüchte, Geschichten und Proben aus aller Welt in der Gilde zusammen, die anderen komplettieren das Wissen der arkanen Theorie hier vor Ort mit dem Ziel, einst der größte und mächtigste Ort des Wissens zu werden, welchen Chemlon jemals gesehen hat.

Natürlich wird das Wissen der Gilde niemals vollständig sein, wie auch die Welt niemals vollständig sein kann, denn die Welt ist eine Geschichte mit unbekanntem Ausgang. Wir von der Shon‘ Jir streben nach der Vervollkommnung unserer Selbst durch die Ansammlung eines möglichst vollständigen Wissens über die Welt, ihre Entstehung und ihre Einbettung in den kosmischen Chor der Unendlichkeit. Und ich bin stolz zu sagen, daß wir in der Geschichte Chemlons wohl die ersten Zuhörer sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Führer der Gilde

Enrhed von den Fällen, Gildemeister der Shon‘ Jir, 702 n.N.d.E., Magier des dreizehnten Kreises

Gestatten Sie, daß auch ich mich vorstelle. Ich bin Enrhed, Meister der Shon‘ Jir und Begründer der Gilde der Magie. Gezeugt und geboren wurde ich als erster Sohn meines Vaters Norbukul dem Großen, einem der letzten Lichtdrachen Chemlons und Großmeister der Magie und meiner Mutter, der Menschenfrau Jirina Kosa aus Loth Fehir im Jahre 602. Wie meine Eltern zusammenfanden und unter welchen Umständen sie sich trafen ist eine Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll aber es war ein glückliches und zufriedenstellendes Lebensalter, welches sie zusammen verbrachten. Nach ihrer Heirat gingen sie, wie es sich für Lichtdrachen geziemt, aus den besiedelten Bereichen der Küste am Golf von Kieyon - der heute Blutgolf genannt wird - hinfort in die Mitte des Kreuzgebirges, welches Chemlon durchzieht. Dort, in den tiefen Kavernen des erloschenen Vulkans Nimroth verbrachte ich meine Jugend in Drachengestalt, wild und die Freiheit der Jugend genießend. Mein Vater lehrte mich die alten Sprachen und Legenden und die arkanen Künste. Und ich erfuhr von dem großen Zusammenhang des Universums, in dem alle Wesen ihren Platz haben und alle ihre vorherbestimmte Rolle einnehmen.

Meine Mutter lehrte mich die Gebräuche der Menschen und der mit ihnen verwandten Völker und sie lehrte mich, daß die meisten der Bewohner Chemlons Furcht und Abscheu vor uns und unseresgleichen verspüren und das es nur selten Menschen gibt, die ihre Furcht überwinden, so wie sie es einst tat. Doch nur selten kamen wir in bewohnte Gegenden.

Schließlich kam ich in das Alter des jungen Erwachsenen und es drängte mich, diesen heimatlichen Ort zu verlassen, um selbst all die herrlichen Orte Chemlons zu sehen. Mein Vater trug mir auf, daß wo immer ich stehe und wandeln würde, ich mich für den Erhalt und die Förderung der Magie einsetzen sollte, denn die Magie verblasse in Chemlon. Ich sollte in der Welt zum Bannerträger für das Arkane und das Mystische dienen.

Um keine Furcht hervorzurufen unter Menschen, Elfen und anderen Völkern, beschloß ich meine drachische Gestalt aufzugeben und sie zugunsten einer menschlichen Gestalt, einem bleichen, in schwarz gekleideten Mann mittleren Alters einzutauschen. Nur wenn man ganz genau hinschaut, in meinen Schatten in der Mittagssonne, kann man noch die Schemen meiner wahren Gestalt sehen. Dieser Mensch trug den Namen Ar Karazor und wurde von nun an zu meiner gewöhnlichen Erscheinung, obwohl ich nach wie vor jederzeit die Fähigkeit hatte, meine drachischen Kräfte und körperlichen Vorzüge wiederzuerlangen. So zog ich im Alter von neunundachzig Sonnenjahren aus und besuchte fremde Orte, große Städte und bestand viele Abenteuer.

In dieser Zeit lernte ich meine wenigen und wichtigen wahren Freunde kennen, von denen mittlerweile schon einige verschieden sind. Tarus Blutherz zum Beispiel, der Zwergenkönig unter dem Berg, ein tapferer Recke für sein Volk und Bragdar, Häuptling der Beondren aus dem hohen Norden. Sie fielen im Kampf gegen das Dunkel.

Andere Freunde begleiten mich noch heute auf meinem Weg durch Chemlon.

Mein ältester und bester Freund Edoras Karion, Elfenfürst und Clanhalter seines Volkes aus dem goldenen Wald, ein großer Barde vor der Herrin. Er schrieb das Lied der freien Völker und besang die Schlacht gegen das Dunkel. Verse und Reime, die heute in ganz Chemlon zu hören sind. Ein kaum minder langer Weggefährte ist mir der blinde Lord, den man einst Ilendir nannte und heute den Meister der Intrigen nennt. Er ist ein großer unter den Dieben und Händlern im Süden Chemlons.

Grantor Knochenleser war ein weiterer treuer Gefährte - der leider vor Kurzem seinem Hang zu der Magie des Jenseits zum Opfer fiel - und ein wahrer Kenner der Künste des Chaos. Er war ein geläuterter Diener des Bösen und war vor allem in den Tagen des Dunklen von unschätzbarem Wert. Ohne ihn hätte das Schicksal der Völker gewiß einen anderen Lauf genommen.

Der letzte, doch nicht geringste unter den Freunden ist der Südländer Thibaud, Prinz von Assur, der sich selbst den ersten Diener Gonnts nennt und von uns allen als der kühnste erachtet wird. Ihm gebührt die Ehre, sich Bezwinger Vrooks zu nennen.

Für alle diese Leute würde ich mein Leben geben, so wie sie es auch für mich geben würden. Und glauben Sie mir, es gab oft Situationen, in denen solche Worte pötzlich nicht ganz so leer sind, wie sie hier in der gemütlichen Heimat klingen.

Schließlich, nach vielen Abenteuern und Gefahren, nach unzähligen Stunden in fremden Bibliotheken und vergessenen Sälen kam ich zu der Erkenntnis, daß all das Wissen, daß ich anhäufte nützlich und schön sei, aber dennoch ohne praktischen Nutzen. Gleichzeitig erkannte ich, daß der größte Mangel in dieser Welt die Unkenntnis ihrer Bewohner über ihr Universum sei und so beschloß ich, daß ich dieses Wissen anderen zugänglich machen wollte.

Getreu den Worten meines Vaters, das Arkane zu bewahren rief ich an einem entlegenen, doch sehr lieblichen Ort eine Schule ins Leben, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, das Wissen zu sammeln und es den Dienern des Wissen zu vermitteln.

Während der ersten Jahre des Aufbaus geriet ich unter mystischen Umständen in den Bann einer Menschenfrau namens Larissa Neathal. Sie war zu jener Zeit Senatorin in Loth Fehir, nun ja, damals nannte man es jedenfalls noch Loth Fehir, heutzutage sollte ich wohl besser von Sed Fehir sprechen. Sie war bezaubernd schön und noch ehe ich mich versehen hatte, schenkte sie mir eine Tochter, die wir Drajina nannten. Ich offenbarte ihr meine wahre Gestalt, doch sie überwandt die Furcht, ja mehr noch, aus Liebe zu mir zog Larissa in die Shon‘ Jir und half beim Wachsen der Gilde. Ich lehrte sie arkane Künste, aber ihre Sinne schienen dem nicht geneigt zu sein. Dennoch schaffte sie es immer, meine Gedanken zu fesseln und in den Bann zu schlagen. Schließlich kam es, wie es häufig kommt, wenn man glücklich und zufrieden mit einer schönen Frau an seiner Seite lebt – man entschließt sich, den Bund der Ewigkeit einzugehen.

Mein Entschluß wurde durch meinen Vater bestärkt und durch meine Mutter gesegnet. Wir führten die menschliche Zeremonie in der Shon' Jir durch und in den Tiefen des Nimroth die zweite, die drachische.

Dann kam die Zeit des Wandels und dem Erblühen der Kräfte des Dunkels. Zuerst wurde der Norden finster, schließlich auch der Süden. Viele Schlachten wurden geschlagen. Manche wurden von mir und meinen Freunden gelenkt, mache Gefahren, die wir überlebten bleiben dem gemeinen Volk verborgen. Wir überwanden ganze Horden von Dämonen, wurden jedoch für kurze Zeit überwältigt und bezwungen.

In diese dunkle Zeit fiel der Tod meines Vaters und das schwere Erbe, daß ich antreten sollte. Als er mich in den Wochen vor seinem Tode zu sich rief und mir das Siegel mit der Drachenschwinge übergab, wußte ich, was er von mir erwartete. Ich würde zusammen mit einer zum Drachen gewandelten Larissa und meinen Eltern den Schattenflug in den brodelnden Vulkan fliegen müssen, wir voraus und sie dahinter. Dann würden wir rechtzeitig vor dem Feuer abdrehen, während meine Eltern sich in die Lava stürzten. Die Legende sagt, daß ihr Geist und der Geist der vorausgehenden Generationen auf den unsrigen übergehen und sich mit ihm verbinden würden, während ihre Körper im Innern der Erde verglühen.

Nach dem Ritual entschloß ich mich, meinen wahren Namen nicht länger zu verbergen und auch meine Gestalt nicht mehr zu verändern. Ich kehrte mit Larissa zurück, um offen und ohne Furcht ein Zeichen der Hoffnung zu setzen und um den Gram über die zurückliegende Niederlage gegen das Dunkel abzuschütteln. Eine neue Zeit sollte beginnen und heute bin ich überzeugt, daß der Geist meiner Väter und Vorväter tatsächlich auf mich überging, und ich bin auch überzeugt davon, daß wir schließlich auch das große Dunkel und seine schändlichen Diener bezwingen werden.

Diese Periode des Gemetzels stellte die bislang letzte große Herausforderung dar, die ich in meinem bisherigen Leben zu bestehen hatte. Ich sehnte mich nach meiner Heimat und ich genieße die wunderbare Periode des Wachsens und Gedeihens bis heute.

Und schließlich bin auch ich ein wenig weiser geworden. Die Magie war vor Anbeginn der Zeit da und wird es lange nach dem Verschwinden der Völker immer noch sein. Sie findet sich in den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft und drückt sich am Firmament wie im Erdkreisen aus. Selbst die Sphäre der Göttlichkeit wird durch Magie beeinflußt, vielleicht ist sie sogar auch ihr Ursprung. Und solange die Elemente, die Erdkreise und die Götter bestehen, wird die Magie nicht aussterben und das ist weit mehr, als alles, was wir erwarten können.

Einst glaubte ich frei zu sein doch ich erkannte, daß ich nur ein Faden im Gewebe der Zeit bin und das wir alle nur ein Muster im verwobenen Teppich der Geschichte sind, über den die kommenden Generationen schreiten werden. In der Hoffnung, die Muster der Zeit klar zu prägen, um Spuren zu hinterlassen, verbleibe ich, Enrhed.