Meine Mutter lehrte mich die Gebräuche der Menschen und der mit ihnen
verwandten Völker und sie lehrte mich, daß die meisten der Bewohner
Chemlons Furcht und Abscheu vor uns und unseresgleichen verspüren und das
es nur selten Menschen gibt, die ihre Furcht überwinden, so wie sie es
einst tat. Doch nur selten kamen wir in bewohnte Gegenden.
Schließlich kam ich in das Alter des jungen Erwachsenen und es drängte
mich, diesen heimatlichen Ort zu verlassen, um selbst all die herrlichen
Orte Chemlons zu sehen. Mein Vater trug mir auf, daß wo immer ich stehe
und wandeln würde, ich mich für den Erhalt und die Förderung der Magie
einsetzen sollte, denn die Magie verblasse in Chemlon. Ich sollte in der
Welt zum Bannerträger für das Arkane und das Mystische dienen.
Um keine Furcht hervorzurufen unter Menschen, Elfen und anderen Völkern,
beschloß ich meine drachische Gestalt aufzugeben und sie zugunsten einer
menschlichen Gestalt, einem bleichen, in schwarz gekleideten Mann
mittleren Alters einzutauschen. Nur wenn man ganz genau hinschaut, in
meinen Schatten in der Mittagssonne, kann man noch die Schemen meiner
wahren Gestalt sehen. Dieser Mensch trug den Namen Ar Karazor und wurde
von nun an zu meiner gewöhnlichen Erscheinung, obwohl ich nach wie vor
jederzeit die Fähigkeit hatte, meine drachischen Kräfte und körperlichen
Vorzüge wiederzuerlangen. So zog ich im Alter von neunundachzig
Sonnenjahren aus und besuchte fremde Orte, große Städte und bestand
viele Abenteuer.
In dieser Zeit lernte ich meine wenigen und wichtigen wahren Freunde
kennen, von denen mittlerweile schon einige verschieden sind. Tarus
Blutherz zum Beispiel, der Zwergenkönig unter dem Berg, ein tapferer
Recke für sein Volk und Bragdar, Häuptling der Beondren aus dem hohen
Norden. Sie fielen im Kampf gegen das Dunkel.
Andere Freunde begleiten mich noch heute auf meinem Weg durch Chemlon.
Mein ältester und bester Freund Edoras Karion, Elfenfürst und
Clanhalter seines Volkes aus dem goldenen Wald, ein großer Barde vor der
Herrin. Er schrieb das Lied der freien Völker und besang die Schlacht
gegen das Dunkel. Verse und Reime, die heute in ganz Chemlon zu hören
sind. Ein kaum minder langer Weggefährte ist mir der blinde Lord, den man
einst Ilendir nannte und heute den Meister der Intrigen nennt. Er ist ein
großer unter den Dieben und Händlern im Süden Chemlons.
Grantor Knochenleser war ein weiterer treuer Gefährte - der leider vor
Kurzem seinem Hang zu der Magie des Jenseits zum Opfer fiel - und ein
wahrer Kenner der Künste des Chaos. Er war ein geläuterter Diener des Bösen
und war vor allem in den Tagen des Dunklen von unschätzbarem Wert. Ohne
ihn hätte das Schicksal der Völker gewiß einen anderen Lauf genommen.
Der letzte, doch nicht geringste unter den Freunden ist der Südländer
Thibaud, Prinz von Assur, der sich selbst den ersten Diener Gonnts nennt
und von uns allen als der kühnste erachtet wird. Ihm gebührt die Ehre,
sich Bezwinger Vrooks zu nennen.
Für alle diese Leute würde ich mein Leben geben, so wie sie es auch für
mich geben würden. Und glauben Sie mir, es gab oft Situationen, in denen
solche Worte pötzlich nicht ganz so leer sind, wie sie hier in der gemütlichen
Heimat klingen.
Schließlich, nach vielen Abenteuern und Gefahren, nach unzähligen
Stunden in fremden Bibliotheken und vergessenen Sälen kam ich zu der
Erkenntnis, daß all das Wissen, daß ich anhäufte nützlich und schön
sei, aber dennoch ohne praktischen Nutzen. Gleichzeitig erkannte ich, daß
der größte Mangel in dieser Welt die Unkenntnis ihrer Bewohner über ihr
Universum sei und so beschloß ich, daß ich dieses Wissen anderen zugänglich
machen wollte.
Getreu den Worten meines Vaters, das Arkane zu bewahren rief ich an
einem entlegenen, doch sehr lieblichen Ort eine Schule ins Leben, die es
sich zum Ziel gesetzt hatte, das Wissen zu sammeln und es den Dienern des
Wissen zu vermitteln.
Während der ersten Jahre des Aufbaus geriet ich unter mystischen Umständen
in den Bann einer Menschenfrau namens Larissa Neathal. Sie war zu jener
Zeit Senatorin in Loth Fehir, nun ja, damals nannte man es jedenfalls noch
Loth Fehir, heutzutage sollte ich wohl besser von Sed Fehir sprechen. Sie
war bezaubernd schön und noch ehe ich mich versehen hatte, schenkte sie
mir eine Tochter, die wir Drajina nannten. Ich offenbarte ihr meine wahre
Gestalt, doch sie überwandt die Furcht, ja mehr noch, aus Liebe zu mir
zog Larissa in die Shon‘ Jir und half beim Wachsen der Gilde. Ich lehrte
sie arkane Künste, aber ihre Sinne schienen dem nicht geneigt zu sein.
Dennoch schaffte sie es immer, meine Gedanken zu fesseln und in den Bann
zu schlagen. Schließlich kam es, wie es häufig kommt, wenn man glücklich
und zufrieden mit einer schönen Frau an seiner Seite lebt – man
entschließt sich, den Bund der Ewigkeit einzugehen.
Mein Entschluß wurde durch meinen Vater bestärkt und durch meine
Mutter gesegnet. Wir führten die menschliche Zeremonie in der Shon' Jir
durch und in den Tiefen des Nimroth die zweite, die drachische.
Dann kam die Zeit des Wandels und dem Erblühen der Kräfte des
Dunkels. Zuerst wurde der Norden finster, schließlich auch der Süden.
Viele Schlachten wurden geschlagen. Manche wurden von mir und meinen
Freunden gelenkt, mache Gefahren, die wir überlebten bleiben dem gemeinen
Volk verborgen. Wir überwanden ganze Horden von Dämonen, wurden jedoch für
kurze Zeit überwältigt und bezwungen.
In diese dunkle Zeit fiel der Tod meines Vaters und das schwere Erbe,
daß ich antreten sollte. Als er mich in den Wochen vor seinem Tode zu
sich rief und mir das Siegel mit der Drachenschwinge übergab, wußte ich,
was er von mir erwartete. Ich würde zusammen mit einer zum Drachen
gewandelten Larissa und meinen Eltern den Schattenflug in den brodelnden
Vulkan fliegen müssen, wir voraus und sie dahinter. Dann würden wir
rechtzeitig vor dem Feuer abdrehen, während meine Eltern sich in die Lava
stürzten. Die Legende sagt, daß ihr Geist und der Geist der
vorausgehenden Generationen auf den unsrigen übergehen und sich mit ihm
verbinden würden, während ihre Körper im Innern der Erde verglühen.
Nach dem Ritual entschloß ich mich, meinen wahren Namen nicht länger
zu verbergen und auch meine Gestalt nicht mehr zu verändern. Ich kehrte
mit Larissa zurück, um offen und ohne Furcht ein Zeichen der Hoffnung zu
setzen und um den Gram über die zurückliegende Niederlage gegen das
Dunkel abzuschütteln. Eine neue Zeit sollte beginnen und heute bin ich überzeugt,
daß der Geist meiner Väter und Vorväter tatsächlich auf mich überging,
und ich bin auch überzeugt davon, daß wir schließlich auch das große
Dunkel und seine schändlichen Diener bezwingen werden.
Diese Periode des Gemetzels stellte die bislang letzte große
Herausforderung dar, die ich in meinem bisherigen Leben zu bestehen hatte.
Ich sehnte mich nach meiner Heimat und ich genieße die wunderbare Periode
des Wachsens und Gedeihens bis heute.
Und schließlich bin auch ich ein wenig weiser geworden. Die Magie war
vor Anbeginn der Zeit da und wird es lange nach dem Verschwinden der Völker
immer noch sein. Sie findet sich in den Elementen Feuer, Wasser, Erde und
Luft und drückt sich am Firmament wie im Erdkreisen aus. Selbst die Sphäre
der Göttlichkeit wird durch Magie beeinflußt, vielleicht ist sie sogar
auch ihr Ursprung. Und solange die Elemente, die Erdkreise und die Götter
bestehen, wird die Magie nicht aussterben und das ist weit mehr, als
alles, was wir erwarten können.
Einst glaubte ich frei zu sein doch ich erkannte, daß ich nur ein
Faden im Gewebe der Zeit bin und das wir alle nur ein Muster im verwobenen
Teppich der Geschichte sind, über den die kommenden Generationen
schreiten werden. In der Hoffnung, die Muster der Zeit klar zu prägen, um
Spuren zu hinterlassen, verbleibe ich, Enrhed.