Chemlon, in den Verliesen unter Sed Fehir, in der Mitte des Jahres 705

26. Juli

Ich hatte mir in der Nacht einen meisterhaften Plan ausgedacht, wie wir es schaffen könnten, die Insel inmitten der unterirdischen Seen zu erreichen. Denn dort vermuteten wir den Aufenthaltsort des Dämonendrakos. Zu diesem Zweck also, so unterbreitete ich meinen Begleitern, müssten wir lediglich mit einem kleinen Boot von der Zwergenstadt aus stromaufwärts fahren. Nach dem Anlanden auf der anderen Seite - wir hatten ja eine äußerst detaillierte Karte des Stollen und Gänge von diesem Teil des Verlieses - wollten wir das Boot in Einzelteile zerlegen und durch eine schmale Passage an einen sichtgeschützten Platz am Rande des Sees bringen. Dort wollte ich dann meinen Zauberspruch Geisterschiff einsetzen, um die Schaluppe wieder flott zu machen für ein Übersetzen der Gruppe. Weil dies der einzig konstruktive Vorschlag war, so wurde er auch ohne viel Widerwort und Diskussion für gut befunden und angenommen.

Zuvor versorgten wir uns natürlich noch beim örtlichen Kräuterhändler der Zwergenstadt mit einigen hilfreichen Gewächsen. Mein Plan schien aufzugehen, denn nach nur wenigen Stunden hatte ich an der besagten Stelle aus den Restteilen mit meiner Magie ein Boot entstehen lassen. Wir brüteten noch eine kurze Weile über die wohl beste Vorbereitung und bestiegen dann den Kahn. Dort zeichnete ich einen Astralen Schutzkreis auf die Planken, der allerdings wegen der Größe des Bootes so klein ausfiel, dass nur ich in ihm Platz finden konnte. Auch schluckten wir eine Reihe von Kräutern, um unsere Reaktion-, Zauber- und Kampffertigkeiten zu steigern. Dann legten wir ab, dem Schicksal entgegen...

Gemächlich glitt das Geisterschiff über die spiegelglatte Fläche des unterirdischen Sees. Gleich würden wir hinter einem Felsenvorsprung hervorkommen und dann einen freien Blick auf die unterirdische Halle erhaschen können. Was würde uns dort erwarten? Alle drei Abenteurer standen aufrecht in der Schaluppe und schwiegen in der von Anspannung und Konzentration geschwängerten Atmosphäre. Der Augenblick der Wahrheit rückte mit jeder Elle, die sich das hölzerne Wrack durch das Wasser schob, näher...

Mit meinen Adleraugen erspähte ich zuerst die ganze Palette der sich vor uns auftuenden Szenerie: Rund 160 Meter entfernt die Insel. Auf ihr lag der Dämonendrako und wie es mir schien hatte er unser Eintreffen sogleich bemerkt. Auch sah ich ein Pentagramm, an dessen fünf Ecken je ein Dämon der Schwerter stand und schwarze Ritualkerzen brannten. Zudem erblickte ich in der Mitte dieser Anordnung einen Grauelfen, der mir doch sehr nach einem Geisterbeschwörer aussah, der dort im Auftrage des Dämons zu Werke ging... Von den zahllos dort herumliegenden Namensgeberleichen nahm ich nur am Rande Kenntnis, denn jetzt hatte der Kampf begonnen. Ich zerbrach sogleich den magisch aufgeladenen Knochen, den uns unser Drachenfreund für diese Gelegenheit mitgegeben hatte.

Einen Lidschlag später kam der monströse Dämon in Gestalt des Drako schon über uns. Er hatte sich mit seinen gewaltigen Schwingen in die Lüfte gehoben und schoss auf uns zu. Sein Säureodem ergoss sich wie ein Kübelschwall auf uns. Fiss und Khna sahen trotz des vom Magier zuvor gewirkten Gegenzaubers schon ramponiert aus. Ich hingegen blieb verschont durch die Wirkung meines astralen Schutzkreises, dem ich eine ganz besondere mystische Rüstung verdankte.

Den ersten Krallenattacken konnte ich besonders flink ausweichen. Aber leider sollte sich herausstellen, dass wir erneut einem nahezu übermächtigen Gegner gegenüber standen. Zwar schlug Khna einmal erfolgreich auf ihn ein, doch umzubringen war das Schreckenswesen dadurch nicht. Als ich dann meinen jüngst erlernten Zauberspruch namens Dämonenfessel einsetzen wollte und meinen mickerigen Geist Honchu als Unterstützung einsetzen wollte, da musste ich erfahren, dass dieser vaterlandslose und nichtswürdige Geist die Seiten gewechselt hatte. Nur das leise Wispern Honchus vernahm ich: "Moriater, sie sind ja doch so sehr viel mächtiger als ihr es seid..."

Sei es drum - auch ohne diesen verräterischen Überläufer von einem Geist, der für immerdar verflucht sei - zauberte ich. Zu meinem Bedauern war seine magische Widerstandkraft für mich nicht zu knacken. Und so dienten Khna und ich in der Folgezeit nur noch als Krallen- und Bissfänger. Dank meines Nebelschildes und des besonderen Kunstfertigkeit im Umgang mit meinem Talent Schutzgeist wich ich noch einigen Hieben aus, bevor mich der dämonische Drako niederstreckte. Zu diesem Zeitpunkt lag der Hüne Khna`Wa bereits auf den Brettern, die seine Welt immer häufiger bedeuten und blutete aus klaffenden Wunden.

Beim Niedergehen hörte ich den zwergischen Magier noch Worte an seine Gottheit richten, damit sie ihn in diesem Kampfe unterstützen möge: "Gepriesen sei Dein Name - Oh Geladion! Deine Weisheit lenkt meine Geschicke - ohne Dein Wissen und Deine Güte herrschte ewige Nacht in Chemlon - Oh Geladion!" Dann wurde es Nacht um mich herum.

Später berichtete mir Fiss, was sich dann zugetragen hat. Ich gebe es - soweit mir möglich - im Wortlaut wieder:

"Oh Geladion, gepriesen sei Deine Weisheit. Oh, Geladion stehe mir bei in dieser dunklen Stunde. Hilf mir den Kampf für das Gute zu wenden. Ich werde fortan als Dein Weihepriester unter Chemlons Sonne wandeln und Deine unergründliche Güte und Dein unergründliches Wissen preisen."

"Was dann geschah, war sehr ungewöhnlich. Dank Geladion stieg mein magisches Potential auf eine zuvor nie erreichte Dimension. Nun entwickelte sich ein Kampf zwischen gleichwertigen Gegnern. Ich konnte den Dämonendrako mit zwei heftigen Razor-Orb-Treffern (die Dank des göttlichen Beistands eine entsetzliche Wirkung hatten) zur Strecke bringen."

Im Fernkampf nahm er dann die Dämonen der Schwerter auf der Insel aufs Korn. Zum Schluss erlegte er den Grauelfen-Geisterbeschwörer, der noch immer in sein Ritual vertieft war.

"Gepriesen sei Geladion" rief ich im Anschluss an diesen atemberaubenden Kampf und schaffte meine Kameraden zur Insel, versorgte ihre Wunden und erweckte sie Dank einiger Kräuter zum Leben. "Gepriesen sei Geladion. Niemand ist gütiger und klüger als Geladion." Mit diesen Worten wachten die beiden Gefährten auf...

Ich muss noch anmerken: Zwerg Fiss rettete unser Leben. Er sollte sich nur nicht so sehr schnell überschätzen, denn - so hörte ich es schon von vielen Reisenden unter der Sonne Chemlons - das wäre der sichere Anfang vom Heldenende.

Khna und ich - die sogenannte GmbH "Zwergeplätten" - wurden also von einem der Kleinwüchsigen - welch Ironie des Schicksals - wieder zusammengeflickt und gerettet. Sodann durchstöberten wir die Leichen der Namensgeber auf der Insel. Khna fand eine ganz offensichtlich wertvolle Fellrüstung, während ich mich sofort des gestohlenen Buches "Die Begehung des Jenseits" annahm. Ich ließ es augenblicklich in meiner Astraltasche verschwinden. Des weiteren bargen wir ein Zauberspruchpergament, einen Trank und beim Grauelfen zudem einen Zauberstock, einen Ring und ein weiteres Buch... In diesen Aufzeichnungen las ich den Namen des Dämonendrakos, den wir gerade zur Strecke gebracht hatten: Draijkenn.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, steckte ich in meine Taschen: Die schwarzen Ritualkerzen, die an den Ecken des Pentagramms aufgestellten Schüsseln, in denen sie wohl magische Gegenstände aufgelöst hatten und auch den kurzen Knüppel mit den an Lederbändern baumelnden Fetischen.

Ach, mein kleines, geliebtes Lupendium fand ich ebenfalls wieder. Wohingegen der Zauberstock von Cadea - welch Wunder - nicht zu finden war. Um zwei meiner durchaus zahlenreichen Questen für meine Gottheit Shuzuk zu erfüllen, begann ich damit, aus den Namensgeberleichen ein paar Knochen zu schälen. Damit bastelte ich ihr einen kleinen Shuzuk-Gedächtnis-Schrein. Mit der Hilfe einer Reihe von Packgeister barg ich zudem den Kopf des Dämonendrako. Denn ein weiterer meiner Schwüre besagt, dass ich diesen in Sed Fehir, dort wo ich einst meine Lehranstalt für die Dunklen Künste zu errichten gedenke, aufbahren muss.

Da dieser Ort eine besondere magische Potenz besitzt, wollen wir hier für kurze Zeit verweilen, um uns anschließend eine Belohnung vom Zwergenkönig abzuholen. Immerhin wendeten wir auch eine gewisse Gefahr von den Stadtzwerglern ab...