Chemlon, irgendwo
im Lande Norgroth des Jahres 704
02. Dezember
Es ist uns bislang nicht geglückt, die Orkhorde einzuholen. Wir reiten
immer noch entlang dieses Flusses und holen nicht auf. Am heutigen Morgen
aber konnten wir am Horizont eine riesige Stadt von unbekannten Ausmaßen
erspähen. Ein Blick in unser Kartenmaterial verriet, dass es sich
dabei um Sed Fehir handeln müsse. Von der einstigen Hauptstadt Chemlons
hatten wir ja schon gehört, allerdings unter dem Namen Loth Fehir.
Dieser Zwergenkönig Tarus Blutherz soll bei deren Verteidigung sein
Leben ausgehaucht haben als die Stadt von den dunklen Horden einst überrannt
wurde. Wir nähern uns den Befestigungsanlagen also mit der gebotenen
Vorsicht. Als wir nur noch wenige hundert Meter entfernt sind, können
wir Einzelheiten ausmachen: Die Wälle der einst erhabenen Stadt sind
zum Teil in sehr schlechtem Zustand und legen noch Zeugnis ab von einer
Zeit, in der dunkle Heerscharen sie bezwangen. Viele der Gebäude,
deren Dächer oder Giebel über die Zinnen ragen, sind gemarkt
mit Brandspuren und Zeichen des Verfalls. Nachdem wir uns dies Bild der
Verwüstungen besehen haben, bewegen wir uns zu einem Mauerdurchbruch
und betreten Sed Fehir.
Der von mir erschaffene
Blutdiener hatte uns berichtet, dass es innerhalb der Stadtmauern noch
eine kleine Anzahl von Bewohnern gebe. Darunter seien Vertreter nahezu
aller respektablen Rassen Chemlons, die sich aber hauptsächlich in
zwei, drei Vierteln aufhielten.
Wir sahen, dass die
Stadttore einst geborsten waren, rochen den Verfall von Herrlichkeit und
verflüchtigtem Prunk und Reichtum. Ab und an fanden wir bereits skelettierte
Überreste von guten wie auch bösen Kreaturen. Langsam näherten
wir uns dem Zentrum der Stadt. Wir hatten erkannt, dass dort immer noch
eine intakte Befestigungsanlage lag, gelegen auf einem über dem Herzen
von Sed Fehir thronenden Hügel. Dort dann trafen wir auf eine kleine
Schar von Wachen, die uns nach unserem Begehren befragte. Wir stellten
uns vor, berichteten von unserer Ork-Verfolgung und wurden schließlich
vom Befehlshaber der Wache, einem gewissen Ulent, eingelassen. Kendrik,
ein Schwertmeister des 9. Kreises, trat uns dann entgegen. Offenbar war
er der Chef des kümmerlichen Rests der einst mächtigen Hauptstadt.
Nachdem wir auch ihm
die Geschichte von der Entführung der Menschenkinder berichteten,
zeigte er sich nachdenklich. Ihm war auch aufgefallen, dass dies ein durchaus
ungewöhnliches Verhalten der Orks darstellte. Ein schlaues Bürschchen,
dachte ich mir. Auch erzählte er von anderen Abenteurern, die vor
langer Zeit in die Stadt gekommen warn. Ein Elementarist namens Fenchu
Flammenbart, der Dämonenjäger Wrirko und ein Windelf mit dem
schwulen Namen Mondschatten nannte er, doch die waren uns zuvor nie über
den Weg gelaufen. Die Art und Weise wie er die Heldennamen aussprach,
zeigte uns jedoch, dass es sich hierbei um ehrenwerte Gesellen handeln
müsse. Und er beschied ihnen, Großes geleistet zu haben bei
dem Unterfangen, die Stadt von den Orks zu reinigen. So erfuhren wir ebenso,
dass es unterhalb der Stadt ein gigantisches Kellersystem geben müsse.
Denn dorthin seien diese Abenteurer des Öfteren gegangen.
Nach den von uns verfolgten
Orks befragt, sagte er, dass man diese gesehen hätte wie sie sich
mit Booten auf die alte Seeroute zu der Insel Imreth Calestra aufgemacht
hätten, die sich im Nordosten des Blutgolfes befinde.
Imreth Calestra, so
sagte er, sei eine der drei Inseln, die man auch unter dem Namen "Die
drei Schwestern" kenne. Imreth Calestra sei dabei von der Fläche
her die kleinste. In früheren Zeiten, bevor die dunkle Brut über
das Land herfiel, habe ein reger Handelsaustausch stattgefunden. Auf Calestra
sei im Süden sogar eine Stadt namens Kedus Faith gewesen. Genaueres
sei nicht zu sagen, da der Kontakt vor langem abbrach.
Uns wird also in aller
Eile das Nötigste beigebracht, damit wir einen alten Seelenverkäufer
über die Wasser des Blutgolfes gen Imreth Calestra segeln können.
Dieses Schiff wurde uns von Kendrik in Aussicht gestellt. Um das Schiff
ausborgen zu können legten wir ein Gelübde ab, dass wir bei
unserer Rückkehr und nach der Rettung der Menschenkinder einigen
Leuten von Sed Fehir in den Fähigkeiten unterweisen würden,
die wir auf unseren langen Fahrten erlernt hatten. Mir bringt zudem ein
Kundiger das Wesen der Navigation näher und Tran, ähh, Tarn,
lernt das Steuern eines Schiffes in rudimentärster Weise. Kedus Faith,
eine Stadt im Süden von Imreth Calestra, rund drei Tagesreisen mit
dem Schiff von Sed Fehir aus, sollte zunächst unserer Ziel bei der
weiteren Verfolgung der Orks sein. Denn der Khna Wa hielt eine Gotteskonferenz
ab und erfuhr, dass die Rettung der Geisel immer noch möglich sei.
Zudem sei das Ziel der Orks mit den Verschleppten die Insel Imreth Calestra.
Wir befragen Kendrik
eindringlich nach weiteren Hilfsmitteln, die er uns geben könne,
damit wir die Reise heil überstehen könnten. Ich ertauschte
einen Trank, welcher das Atmen unter dem Wasser ermöglicht. Der Illusionist
Fenchu Flammenbart braute diesen einst.
Von Tarn war ich hellauf
begeistert an diesem denkwürdigen Tag, denn er stellte zur Abwechslung
die kluge Frage nach einem Manne in Kedus Faith, der sich mit Ritualen
und solch Zeugs auskenne. Kendrik überlegte kurz und erklärte,
dass ein solcher Kundiger namens Harback, ein halborkischer Dämonenjäger,
dort lebe und wir ihn aufsuchen könnten, um über die entführten
zwölf Kinder und entsprechende Rituale mehr zu erfahren.
7. Dezember
Also, dann begann unsere denkwürdige Fahrt auf dem Blutgolf. Wir
achteten tunlichst darauf, dass wir immer schön in Sichtweite der
Küste blieben. Unsere Erfahrungen mit Meeresquerungen waren ja immerhin
auch nicht die Besten. Die Sonne schien aber zu meinem großen Vergnügen
und wir kamen gut voran. Wir umrundeten nach drei Tagen ereignislosen
Segelns ein Kap und umschifften eine Felsengruppe, die nur leicht von
den Wellen umspült wurde gekonnt. Gerade als wir zum Freudengeschrei
ansetzen wollten, da krachte es bedrohlich. Das Schiff war leck und Wasser
drang in den Laderaum ein. Khna konnte jedoch mit seinem großen
handwerklichen Geschick den Schaden wieder beheben.
9. Dezember
Wir landeten gestern zur Sicherheit einige Meilen entfernt von der Siedlung
Kedus Faith an. Ich hinterließ einen Wächtergeist, der auf
das Schiff aufpassen sollte.
Als wir dann in die
Stadt kamen, erkannten wir, dass hier im Vergleich zu Sed Fehir deutlich
weniger Zerstörung war. Elfen, Halborks, einige Zwerge und Menschen
waberten durch die Straßen und es war weitaus mehr lebhaftes Treiben
als wir erwartet hätten. Um zu erfahren, wo der Dämonenjäger
Harback wohnt, suchten wir eine Kneipe mit dem schönen Namen "Rote
Klaue" auf. Eine echt schummerige Kaschemme, in der ich mir sogleich
vom blöden Barkeeper Vulk einen Schnaps nach meinem Geschmack einschenken
ließ. Der "Trolltöter"-Kurze sollte mir den Staub
von der Seele spülen und er verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht.
Der aufmüpfige Barmann riskierte eine dicke Lippe und beleidigte
mich. Ich tötete ihn jedoch ausnahmsweise nicht, sondern jagte ihm
nur eine Heidenangst ein, so dass er sich sogleich entschuldigte. Wir
erfuhren zuvor noch, dass heute in Kedus Faith Markttag sei und wir machten
uns dahin auf.
Dort erfuhr Tarn,
dass nur wenige Tagesreisen entfernt ein Kloster mit dem schmucken Namen
"Kloster des rauen Sturmwindes" in den Felsen zur Seeseite hin
geschlagen wurde. Er war natürlich sehr begierig, dorthin zu gelangen,
doch
auch ja
wir haben ja diesen Auftrag. Zudem konnten wir
die ungefähre Adresse des Dämonenjägers erfragen.
Schließlich
vor dessen Haus angekommen, öffnete eine alte buckelige Vettel eine
Klappe in der schweren Tür und raunzte unhöflich, was unser
Begehr sei. Nach der üblichen Vorstellungsarie wurden wir zu ihrem
Meister vorgelassen. Dem alten Harback, der uns in einem großen
Lehnsessel sitzend empfing, sah man sein Abenteurerdasein an. Auch ihm
stellten wir uns vor und erzählten sogleich von der seltsamen Entführung
der Menschenkinder. "Sehr merkwürdig", sagte er und erhellend
war dieser erste Meinungsausbruch in der Tat noch nicht. Dann aber beschied
er uns, dass wir in dieser Angelegenheit besser unverzüglich einen
alten Bekannten von ihm in den Bergen aufsuchen mögen. Dessen Name
sei Grog, er sei ein alter Schamane und kenne sich mit Orakeln und dem
Lesen von Knochen aus, so Harback und erläuterte sogleich den Weg
zu dem Kundigen, der uns weiter helfen sollte. Auch gab er uns ein Amulett
mit, welches uns bei Grog ausweisen sollte als Reisende, die von ihm geschickt
wurden.
Wir machten uns also
noch am gleichen Tage auf den Weg, denn die Sache eilte und duldete keinen
Aufschub.
11. Dezember
Schon hoch im Gebirge der Insel jetzt, hat Tarn angeblich in den Nebeln
über einem anderen Gipfel das besagte Kloster aus der Entfernung
ausmachen können. Wir hingegen konnten ihn davon abhalten, den alten
Mönchskuttenträger, sich sofort dorthin zu machen.
12. Dezember
Wir stehen auf einem weiteren Gipfel und geraten uns ein wenig in die
Haare, ob wir nun exakt der Wegbeschreibung des Dämonenjägers
folgten oder nicht etwa doch beim letzten Gipfel einen falschen Weg eingeschlagen
hatten. Wir sind ratlos und machen uns auf zu einem anderen Gipfel.
16. Dezember
Nix da, wir haben uns verheddert. Wir irren auch auf diesem Gipfel herum
und finden keine Spur von dem Schamanen. Langsam reift die Erkenntnis,
dass wir eventuell bereits auf dem letzten Gipfel schon auf dem richtigen
Gipfel gewesen sein könnten. Aber! Wer kann es schon ganz genau wissen?
Wir einigen uns mühsam darauf, den Schamanen noch mal auf dem anderen
Bergplateau zu suchen.
20. Dezember
Heurekta! Err, Halleluja! Dank Khna finden wir nach dem mühsamen
Aufstieg einen schmalen, halb verborgenen Pfad, der zu einem Plateau führt.
Am hinteren Ende stand eine kleine Hütte, davor ein sorgsam gepflegter
Kräutergarten. Als wir uns lärmend näherten, da trat der
Schamane vor die Tür und wir zeigten ihm das Amulett als Beweis unserer
freundschaftlichen Absichten. Wir kamen schnell ins Plaudern und auch
ihm berichteten wir von dem Entführungsdrama. Seine Miene verfinsterte
sich augenblicklich. Er murmelte etwas wie "dunkle Zeichen, dunkle
Zeichen, ein verteufelter Pakt zu ihrem Schutze" nachdem er eine
Handvoll Knochen wie Würfel auf dem Boden gerollt hatte.
Um genau herauszufinden,
was die Orks im Schilde führen mir den Entführten, wolle er
einen Ritualzauber machen, erklärte er uns und zeichnete sogleich
einen Kreis auf den steinernen Untergrund und zündete zwei dunkle
Kerzen an. Derweil soll ich einen magischen Faden für ihn halten
und ich mache es wie gewünscht. Rauch steht jetzt über dem Ritualkreis
und wir blicken hinein. Wir sehen darin eine Art Karte mit den Konturen
der Insel. Im Norden sehen wir drei orkische Clans hausen und dort zwischen
den Orten, an denen ihre Dörfer lokalisiert sind, da erspähen
wir im Rauch eine kreisrunde Kultstätte. Zwölf Pfähle säumen
diesen Kreis und an denen wiederum ist je ein Menschenkind gebunden.
Dann raunt uns Grog
zu: "Ihr müsst etwas tun für die Insel. Eine Sache um IHN
fern zu halten. Die Orks aber wollen die Kinder opfern, um seine Wesenheit
von sich abzulenken."
Natürlich ist
uns sein Geraune nicht sonderlich verständlich. Aber er erklärt
es uns: Damit das Opferritual, bei dem die Menschkinder sterben sollen,
eine bestimmte Magie entfaltet, muss es an einem besonderen Tag in vier
Wochen durchgeführt werden. Es dient dazu, den Schrecken der drei
Schwestern milde zu stimmen. Seine Anspielungen von wegen Schrecken und
Wesenheit, tja, von einem Drache war hier die Rede
grausige Vorstellung
und dessen Name wurde mit "Imperator" genannt.
Drache, Orkhorden,
unglaublichste Gefahren hin oder her. Immerhin bezeichneten wir uns selbst
als Helden und so durften wir nicht zulassen, dass die Kinder den Opfertod
sterben würden. Der Schamane war auch recht nett und wollte uns bei
diesem Unterfangen weiterhin behilflich sein.
Ich bekam zudem zwei
neue Zaubersprüche in meine knöcherigen Finger. Der eine war
der lang ersehnte Spruch Knochenkreis mit dessen Hilfe ich künftig
unsere Reisen schneller und angenehmer zu gestalten gedachte. Die passende
Ergänzung, den Spruch zum Erschaffen eines Geisterportals, sollte
ich im Fall einer unversehrten Rückkehr ausgehändigt bekommen.
Als noch bedeutender erachtete ich jedoch den Spruch mit dem ich künftig
eine mordsgefährliche Bluthydra erscheinen lassen könnte.
So gerüstet wollten
wir losziehen, um die Kinder zu befreien und einem Drachen - wenn möglich
- aus dem Weg zu gehen.
Post Scriptum.: Nur
noch vier Tage bis zum Weihnachtsfest. Ich bin schon ganz gespannt, welche
Geschenke mir die Freunde schenken werden.
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