Chemlon, irgendwo im Lande Norgroth des Jahres 704

26. September
Im Morgengrauen des heutigen Tages fand Tarn eine Höhle, die wir als Versteck und Lager in Beschlag nahmen. Zuvor hatte sich mein Brüderchen Val von uns verabschiedet. Er sagte, dass er in seine Besitzungen an der Pforte zu Delodrien zurückkehren müsse, um sich im Auftrage Gonnths wieder seinen Studien zu widmen. Allerdings wolle er zuvor beim Clan der magischen Verbindung Bericht über unsere Begegnung mit den fanatischen Zwergen und deren unheilvollem Kampf gegen alles Magische erstatten. Der Abschied war für mich sehr schmerzlich. Als ich ihn in der blauen Stunde des Tages auf seinem fliegenden Teppich in den Weiten des Himmels verschwinden sah, da wurde mir ganz unwohl.

Aber zurück zur Gruppe: Die ganze Nacht hindurch hatte unsere Flucht vor den Zwergen gedauert und wir waren reichlich erschöpft, als wir in den Unterschlupf kamen. Wir waren noch gar nicht wieder bei Puste, da fingen Tarns Litaneien wieder an. Er beschuldigte uns erneut, das Blut unschuldiger Zwerge vergossen zu haben. Auch Khna machte er Vorhaltungen ob dessen Lügengeschichten zu seiner neuen Profession, von der er uns nichts hatte mitgeteilt. Eine Sollbruchstelle unserer Heldentruppe im Auftrage der Götter war erreicht, so hatte ich den Eindruck. Es wollte einfach nicht in den Dickschädel des Mönchs, dass die Zwerge in ihrem verbohrten Irrglauben drauf und dran waren, mich, den großen Geisterbeschwörer Moriater Gulgauer, zu meucheln.

Nun. Die Wogen glätteten sich dann, als wir offen über die Geschehnisse plauderten. Jeder von uns hatte ein besonderes Anliegen, eine Aufgabe zu erfüllen. Und gemeinsam hatten wir immerhin einem göttlichen Auftrag gerecht zu werden! Also sprachen wir Tacheles wie seit langem schon nicht mehr und es war gut so.

Khna berichtete, dass er mit dem dunklen Ritter von den Zwergen einen Deal abgemacht hatte. Sollte dieser uns bei der Befreiung helfen, so würde Khna sich dessen Ansinnen zu eigen machen. Das bedeutete, in die von den dunklen Horden zerstörte Stadt Nosgarsi in den Mittlanden zu reisen, dort oder in der umliegenden Gegend einen Paladin namens Jelig ausfindig zu machen und bei einem Duell zu töten. Dieser habe zudem den zweiten Teil einer Karte bei sich. Das andere, dazu passende Stück, gab ihm der Zwerg in einem Ordensbuch mit auf den Weg. Da wir Khna - so wie ich es sehe - unsere Leben zu verdanken hatten, beschlossen wir natürlich mit ihm diese Reise anzutreten. Überhaupt muss einmal erwähnt sein, dass mir der einst so grobschlächtige Riese zunehmend besser gefällt. Jetzt da er die richtige Gottheit verehrt, da ist mir in seiner Gegenwart richtiggehend wohler. Auch schubst er mich nicht mehr und das finde ich sehr anständig.

Tarn hatte hingegen im Kampfe mit dem Dämon Blutträne seinen Gott Perilin zur Hilfe gerufen und somit ebenfalls unser Leben gerettet. Zwar bleibe ich bei meiner Verachtung gegenüber dieser verfluchten Gottheit aus dem Heiligen Konvent, doch immerhin hatte Tarn mit dessen Hilfe unsere süßen Hintern vor dem Fegefeuer bewahrt. Tarn hatte zum Dank seinem Gotte versprochen, diesem einen Ort in Sichtweite des Kreuzgebirgs-Zentrums zu weihen. Nun, wir ahnten bereits, dass dies ein Himmelfahrtskommando werden könnte, doch letztlich galt auch hier die Losung: Alle für Einen, Einer für Alle.

Mein Anliegen ergab sich aus unserer Flucht durch den Astralraum. Honschu hatte mir daraufhin gesagt, dass er seine Fähigkeiten sehr verbessern könne, wenn wir einmal erneut einen Spaziergang durch die andere Realität unternähmen. Es war also mein Wunsch, dies zu tun. Zunächst hielten mich meine Weggefährten für einen vom Wahn der Gesiterbeschwörer befallenen Helden... Vielleicht glauben sie dies immer noch, doch auch in diesem Punkte erzielten wir Einigkeit und bald schon wollten wir für eine kurze Weile gemeinsam in den Astralraum gehen. Immerhin: Nur durch die Hilfe meines Geistes waren wir aus der Mausefalle Zwergengefängnis entkommen!

Nun beratschlagten wir die Reihenfolge unserer Unternehmungen. Zunächst wollten wir Tarns Wünschen nachkommen. Danach dann nach Nosgarsi reisen. Die ehemalige Steppenvolkstadt liegt ja immerhin weit südlich des Kreuzgebirges. Und zwischendurch oder bei nächster Gelegenheit sollte auch der Spaziergang im Astralraum erfolgen.

Wir machten uns also auf, das Zentrum des Kreuzgebirges zu finden. Rund zwei Wochen Weg durch das zerklüftete Massiv war nach unseren Berechnungen die Dauer der Reise.

27. September
Wieder sprangen wir dem Schnitter von der Sensenklinge! Bei unserem Aufbruch konnten wir keine Zeichen der Zwerge erkennen. Wir hofften inständig, dass sie die Suche nach uns aufgegeben hatten. Gegen Mittag dann erbebte der Boden plötzlich.

Hundert Schritte von uns entfernt poltern Steine aus einer Felsenwand. Aus dem Gestein schälte sich langsam eine steinerne Gestalt. Ich erkenne dieses Wesen als einen alten Erdelementar und ahne die Gefahr, die sich da uns in den Weg gestellt hat ... Der Koloss spricht drohend zu uns: "Alter Bande mit den Zwergen zu Gedenken, werde ich meinen Zorn auf euch lenken!" Der Elementar greift uns an und ein unerbittlicher Kampf entbrennt. Nur Honschu, meinen Kräutern und einem letzten Streich des Khna ist es zu verdanken, dass wir diese Begegnung überstanden.

Als sich der Staub des Schlachtengetümmels legt, entdecken wir an der Stelle, an der das Wesen aus dem Stein brach, eine Art Durchgang. Wir gehen neugierig hinein und sehen in der kleinen Kaverne ein Skelett vor einem steinernen Tisch sitzen. Die Gebeine stammen offenbar von einem toten Halbtroll. Ruckartig richtet sich dann der Schädel auf und die Kieferknochen formulieren an uns gerichtete Worte: "Nach langer, langer Zeit habe ich wieder Gäste. Seid gegrüßt, Abenteurer! Ich bin Tyrid. Setzt euch an den Spieltisch. Ich habe Karten für euch bereit."

Verdutzt folgen wir der Weisung des Skeletts. Uns ist bewusst, dass hier das Schicksal seine Finger in unsere Geschicke legt. Die Knochenhände des Toten mischen derweil einen Packen Karten. "Ihr könnt bis zu vier Karten ziehen", sagt dann Tyrid zu uns und wir tun wie uns geheißen.

Das Ergebnis des Spiels mit den so genannten Karten des Schicksals sieht in kleiner Zusammenfassung so aus. Tarn, der gute Mönch, muss von seinem Gotte abrücken und wird zur ehrenvollen dunklen Seite bekehrt. Tarn und ich werden in all unseren Talenten um je eine Stufe gesteigert. Khna bekommt vier Wünsche frei zugesprochen, wobei er gleich einen verwendet, um Ungemach von sich abzuwenden und einen weiteren, um mir eine Art von Schwachsinn zu nehmen, den ich beim Ziehen einer Karte erleide. In unheilvollem Übermut entschließe ich mich zum Ziehen zweier weiterer Karten. Na ja, ich denke, dass ich doch noch nicht ganz vom Schwachsinn genesen war... Eine dieser Karten war verteufelt schlecht, denn sie hatte zur Folge, dass ich alle meine Kräuter und alle meine Gegenstände verlor. All dies wäre zu verschmerzen gewesen. Fast alles aber auch nur: Denn der Verlust des Buches "Die Begehung des Jenseits", essentieller Bestandteil unseres göttlichen Auftrages, ist fatal gewesen.

Ich sprach also zu Khna und bat ihn inständig darum, einen weiteren Wunsch einzusetzen. Für den göttlichen Auftrag möge er das mich und auch uns getroffene Ungemach rückgängig machen. Zum Dank für diese Tat und dafür, dass er mich vom Schwachsinn errettete, so dankte ich mir, würde ich einen Blutschwur tun. Ich möge ihm fortan in der Not zur Seite eilen, mich der Rettung seines Hauptes in der Gefahr blindlings ergeben und ihm in einer Fähigkeit seiner Wahl meisterlich und unermüdlich unterweisen und anleiten, so dass er hierin meine Güte zu erreichen vermöge. Bei Shuzuk! Deine Herrschaft über Chemlon möge kommen!