Chemlon, irgendwo im Lande Norgroth des Jahres 704

25. September
In alter Chronistentradition habe ich unsere Gefangenschaft bei den Zwergen in einem weiteren Kapitel niedergeschrieben. Die Nachkommenden werden mit viel Zugewinn diesen Teil meiner Aufzeichnungen studieren können. Gewarnt seien an diesem Orte nochmals alle Magieverwender: Meidet die Hallen unter dem Kreuz! Das Kurzwüchsige Volk versteht von unserer Materie nicht viel und zetert mit viel Unwissenheit gespickt gegen die edlen Künste des Magischen.

Wir wurden von einer waffengespickten Eskorte in ein Kellerverlies geführt. Mein Todesurteil schien gewiss, denn in der Tat sah es nicht so aus, als ob die Zwerge einen Geisterbeschwörer wieder aus ihren Fängen lassen würden. Das Gebäude, in dem unser Gefängnis untergebracht war, befand sich recht nah an der bereits zuvor geschilderten Wendeltreppe über die wir in die unterirdische Stadt gekommen waren. An Flucht war aber wegen unserer grimmigen Begleitung zunächst nicht zu denken. Auch hatten die Winzlinge meinen Gefährten die Waffen abgenommen.

Der Zellentrakt sah wie folgt aus: In der Mitte eines großen Raumes war ein Gittereck eingerichtet, von dem aus die Wachen in die ebenfalls mit breiter Gitterfront versehenen Zellen einsehen konnten. An unbemerkte Machenschaften unsererseits war nicht zu denken. Von meiner Position aus konnte ich lediglich den Mönch Tarn sehen, der sich zu meinem Verdruss jedoch sogleich der Meditation hingab. Zwischen den Zellen war Mauerwerk. Ich hörte zwar den guten Dunklen Ritter Khna rechts von mir, konnte ihn aber zwecks Fluchtplanung nicht sehen. Und mit den Wachen war nicht zu scherzen: Kaum angekommen, da schlugen sie sogleich mich und den Hünen brutal zusammen. Eine schöne Gemeinheit, dachte ich mir. Aber da ich in diesem Fall der Wehrlose war, so schmeckte mir die Angelegenheit ganz und gar nicht. Die zwergischen Wachen hielten uns an, ruhig zu sein und nicht zu sprechen. Kha`na Wa sagte dazu lauthals wie auch vulgär nur "Schnauze!" und bezog heftige Prügel. Nachdem sie auch mich mit Knüppeln gepeinigt hatten und ich mich wieder berappelt hatte, schickte ich meinen dienenden Geist Honschu los, damit er mir von den Begebenheiten unseres Gefängnisses genauer berichten könne.

Als Honschu dann Bericht erstattet, erzählt er von rund 30 Zwergen, die sich zusätzlich zu den sechs Wache schiebenden Zwergen in einer vorgelagerten Stube aufhielten. In der Zwischenzeit hat auch der Bettelmönch Tarn seine Tracht Prügel von den Wachzwergen bekommen. Er tat aber auf friedfertig und wollte sich wohl nicht aus der Fassung bringen lassen. In meiner Nachbarzelle hörte ich den schier vor Ungeduld platzenden Kha`na Wa auf und ab gehen. Als er dann rief "Fräulein, wann gibt es hier denn Mittag?" schießen diese widerlichen Kleinwüchsigen sogar mit einer Armbrust auf ihn. Der arme - zugegeben saublöde - Hund!

Nach rund vier Stunden von Gefangenschaft und Demütigungen tritt ein kämpferisch wirkender Zwerg in den Zellentrakt. Zunächst spricht er mit den Wachzwergen und geht dann auf die Zelle von Khna zu. Laut verhöhnt er ihn, doch ich merkte, dass hier etwas seltsames vor sich ging. Später berichtete mir der Khna, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. Bei dem Zwerg handelte es sich um einen Dunklen Ritter, der seiner Profession im Verborgenen frönte und seinem "Bruder im Geiste" hilfreich zur Seite stehen wollte. Er bot Khna einen Handel an. Wenn ihm Khna bei der Erledigung einer für ihn wichtigen Angelegenheit helfen würde, könne er den Khna aus der gar misslichen Situation retten. Wie Khna berichtete, so hatte dieser andere Dunkle Ritter ihm verdeckt ein Buch mit dem Titel "Grog`s Handbuch der Bruderschaft" zugesteckt. Ferner hatte dieser einen humanoiden Geist in Khnas Zelle geschickt, der verborgen im Astralen seine Waffen für ihn bereit hielt. Der hilfreiche Zwerg verschwand dann wieder unter lautesten Verspottungen, die er wohl an uns richtete, damit die Wachen keinen Verdacht schöpfen würden.

Mit Astralblick entdeckte Khna zudem, dass der Geist auch eine Phiole bei sich trug, dessen Inhalt aber dem Hünen nicht geläufig war. Aber der grobe Jung kam auch nicht einmal auf die Idee, den Geist danach zu befragen ... Ganz im Gegenteil. Im Angesicht seiner Waffen, kochte sein Blut auf und er beschloss seine Selbstbefreiung mit der Metzgermethode.

Als ich ihn zu den Zwergen sagen hörte "Wer von euch ist denn jetzt die Frau", da wusste ich instinktiv, dass die Stunde eines Befreiungsversuches gekommen war. Von meinem peinlichen Missgeschick, bei dem ich einen Zauber versuchte und mir stattdessen alle Matrizen entleerte, will ich hier nicht berichten.

Auf Khnas Ausspruch hin, kamen die Zwerge höhnisch grinsend und zur Bestrafung für die kessen Töne bereit, auf seine Zelle zu und schlossen sie auf. Just in dem Moment rief er ein kampfschreiendes JETZT! und griff sich seine Waffen aus der sich nun materialisierenden Tasche des astralen Geistes. Was folgte, war ein wahres Massaker unter den kleinwüchsigen. Ströme des zwergischen Blutes flossen über das kahle Kerkerpflaster. Ich schaltete mit meinem Knochenbrecherzauber gleich vier Kurzgewachsene nieder und im nächsten Anlauf erneut vier. Tarn, jetzt aus der Meditation gerissen, schrie uns noch Worte zu, die uns Einhalt gebieten sollten bei diesem Gemetzel. Zu spät. Der Schnitter wütete bereits unter den Erdferkeln. "So viel unschuldiges Blut - Ihr Mörder!", schrie der Mönsch wie am Spieß. Khnas Kommentar war ein vielsagendes Wortspiel: "Ein Bettwässer!"

Honschu hatte es in der Zwischenzeit geschafft, den Zellenschlüssel aus dem Gitterverschlag der Wachen zu holen und schloss mir und Tarn die Türen auf. Wir konnten - leicht gehandikapt von den Fussfesseln - rausstürmen und weitere Schritte unserer Flucht überlegen. Zum Entsetzen der Gruppe hatten sich bereits vier Armbrustschützen im Stollen zum Ausgang positioniert. Jetzt erst - nun, vielleicht leider jetzt erst, kam Khna auf die Idee die Phiole auf dieses Ziel zu schleudern. Vor deren Füßen zerspringt das Fläschchen und sie kippen bewusstlos um... Ein Schelm, wer denkt, dass dieser andere Dunkle Ritter dem Khna dies hatte für die Wachhabenden zukommen lassen wollen. Nun denn, wir hatten uns bereits im Blutrausch durch die Reihen der Zwerge gewühlt ... Nun hörten wir am Ende des Ganges, der zur Freiheit führen sollte, lautes Geschepper von bewaffneten Zwergenhorden, die sich offenbar vor dem Gebäude auf eine kleine Schlacht einrichteten. Uns wurde klar, dass ein Kampf einer Hundertschaft axtschwingender Kleinlinge auch von uns nicht zu gewinnen war. Als wir ohne zu denken durch den Gang lospreschten liefen wir zu allem Überfluss sogar noch in die Wolke des Betäubungsgases, welches von der zerborstenen Phiole herrührte. Khna war der Einzige, der Zähigkeit bewies und weitere Zwerge, die aus den von Honschu gescouteten Räumen auf ihn zuliefen, tötete.

Als wir wieder zu Bewusstsein kamen, war die Lage jedoch weiterhin gleichbleibend unangenehm. Wir saßen in diesem Gefängnisbau in der Falle und waren dem Tode bestimmt. Allein die gefährliche Idee, von Honschu ein Astraltor öffnen zu lassen, damit wir unsichtbar vor den Augen unserer Häscher aus den Hallen unter dem Kreuzgebirge entkommen könnten, versprach noch Rettung.

Es war mein erster Ausflug in den Astralen Raum. Dort sahen wir alles, was auch im realen Raum existiert. Nur etwas gespenstisch verschwommen ... Dass man in diese Ebene nur unter größten Gefahren für das eigene Leben wechselt wurde schnell klar. Ich möchte jedoch nicht vergessen, zu beschreiben, wie sehr ich dieses Gefühl genossen habe, im Astralraum zu sein. Unser Plan war, dass Honschu vorauseilte gen Wendeltreppe, um dort den Ausgang aus dem Astralraum zu öffnen. Damit hätten wir dann die feindlichen Linien unbemerkt umgangen, so hofften wir ...

Nach nur wenigen Schritten auf der anderen Seite, da kam es wie es kommen musste. Drei Dämonen, genauer gesagt, drei Todesengel, versperrten uns angriffsbereit den Weg. Ein Jammer, dass es mich sogleich aus den Schuhen hob. Zum Glück konnten Tarn, mein Brüderchen Val und Khna diese Schattenweltler aber besiegen.

In hastiger Flucht hetzten wir beim Wiedereintritt in die reale Welt, direkt am Fuße der großen Wendeltreppe, aufwärts. Stundenlang liefen wir. Ich sollte vielleicht dem Khna meinen Dank noch aussprechen, denn wegen meiner schweren Verletzungen beim Kampf gegen die Dämonen, ritt ich mit auf seinem Geisterpferd. Hinter uns ertönten die Hörner der Zwerge. Sie waren uns auf den Fersen. Als wir dann ganz oben angekommen waren, fanden wir das steinerne Eingangsportal verschlossen vor. Mit gemeinsamer Anstrengung schafften es Tarn und Khna den Mechanismus der Tür zu betätigen. Unvorsichtig stolperten wir in den Raum dahinter hinein. Sogleich blickten wir in die uns ja eigentlich schon bekannten Schiessscharten. Mit etwas Glück und schnellen Schritten durchquerten wir den Raum. Nur wenige Geschosse trafen uns. Mich vor allen anderen Gefährten, aber das ist im Prinzip nur ein weitere Teil meiner Leidensgeschichte, der hier keine Erwähnung finden soll.

In der alten Wehranlage angekommen, die sich oberhalb des Eingangs zu den Hallen unter dem Kreuz befindet, bewegen wir uns im Schutze der Dunkelheit weiter fort von diesem ungastlichen Ort. Tarn, der alte Bettwässerer, versuchte uns noch eine ganze Weile lang mit Vorhaltungen über ein angebliches Fehlverhalten zu belästigen. Aber wir ignorierten den Mönch. Ein wahrer Beherrscher der dunklen Magie kennt Läppisches wie ein Gewissen nicht.