Chemlon, irgendwo
im Lande Norgroth des Jahres 704
19. März
Am Morgen des Aufbruchs hatten wir noch etwas Zeit, um persönliche
Angelegenheiten zu regeln. Nachdem uns Thal Rasank beim gemeinsamen Frühstück
mitgeteilt hatte, dass er uns nicht begleiten würde, war unsere Stimmung
dunkel und betrübt. Die letzten Wochen hatte er nahezu ausschließlich
mit einer Tyn`Fehir-Frau verbracht und verkündete nun, sie zur Frau
nehmen zu wollen. "Ich muss einem anderen Pfad der Götter nun
folgen", erklärte er.
Nach dem frühen
Mahl suchte ich den zwergischen Geisterbeschwörer Sanana Wassvana
auf. Kha`na Wa wollte derweil seinem Paladin-Schüler, der ihn zu
meiner Belustigung immer Meister nannete, zum Abschied noch ein paar weise
Worte sagen und ihm auch Lehrmaterialien überlassen. Tarn war schon
beim Essen in eine Art Meditation verfallen, aus der wir ihn nicht aufschrecken
wollten. Offenbar betete er für eine sichere Reise.
Wassvana empfing mich
wie gewohnt etwas unterkühlt und erst nach beharrlichem Nachfragen
erläuterte er mir Details zu der Pergamentrolle meines Ziehvaters
Tal`Sea, die nach des Zwerges Aussage das "eigentliche Vermächtnis"
sei. Die Schriftrolle enthielt einen Zauberspruch der Stufe Neun und den
Namen "Trore". Wassvana erklärt mir den Zauber "Baumtor"
wie folgt: Man könne damit durch eine Art Traumverbindung von einem
Ort zu einem anderen gelangen. Dafür müsse man "altehrwürdige
Bäume" um ihre Erlaubnis bitten. Ich bedankte mich untertänigst
und suchte natürlich sofort den großen Baum des Clans der magischen
Verbindung auf. Ich kniete nieder vor ihm und begann ihn höflichst
um seine Einwilligung zu bitten und hörte zu meiner Verwunderung
eine Stimme in meinem Kopfe mich zur Begrüßung ansprechend.
So berichtete ich von unserem göttlichen Auftrag und erfuhr seinen
Namen "Kadoar" und das er meinen Ziehvater Tal`Sea als seinen
Freund bezeichnete. Auch willigte Kadoar ein, mir als die eine Seite einer
"Baumverbindung" zu dienen.
Als wir uns später
dann vom Ältestenrat des Clans verabschiedeten, wurden wir gebeten,
ihnen wenn möglich Nachrichten aus dem Süden Chemlons zukommen
zu lassen.
26. März
Wir müssen unsere Reittiere an der Hand führen, der Aufstieg
im westlichen Arm des Kreuzgebirges erweist sich mühsamer als angenommen.
Wir sind dankbar, dass wir dieses Unterfangen nicht im Winter versuchten.
Jetzt im März ist es schon unwegsam und schwer genug, da mag man
sich nicht noch zusätzliche Schneeverwehungen und Lawinengefahr vorstellen.
Habe gestern eine Löwenknospe gefunden und kaue ab und an auf einem
Frostmoos herum. Lausig kalt ist es immer noch und der Wind schneidet
Furchen ins Gesicht. Der Ausblick entschädigt allerdings für
einige Qualen.
3. April
Wir haben die Höhen des Gebirges passiert und befinden uns jetzt
auf dem Abstieg. Ich vermute, wir werden nun schneller voran kommen.
11. April
Gestern machte Kha`na Wa eine wichtige Entdeckung. Aus der Ferne sah er
etwas auf der Krone eines Baumes liegen. Als wir uns näherten, erkannten
wir einen regungslosen Leib dort oben im Geäst hängen. Auch
mit Astralsicht konnten wir das Wesen nicht sehen. Kha`na Wa kletterte
sodann nach oben und warf den Torso eines Windelfen gen Boden. In dessen
Tasche fanden wir ein versiegeltes Pergament. Das Siegel erkannte Kha`na
Wa als eine Art Wappen von "Nyr`Tul`Quien", der Stadt unter
den Bäumen. Er meinte zudem, dass diese uralte Elfenstadt wohl schon
in den letzten drei Zeitaltern Erwähnung gefunden hätte. Auf
dem deutlich verwitterten Papier entzifferten wir nur Wortfetzen, die
uns klar machten, dass es sich um eine Botschaft an den Clan der magischen
Verbindung handelte. Die Nachricht war mit Januar datiert, also schon
rund drei Monate alt und besagte so etwas wie "Probleme mit den Zwergen
- Handel nicht mehr aufrecht erhalten".
Kha`na Wa hatte eine
für einen Paladin erstaunlich gute Idee und schlug vor, den Ort des
Clans mit der Fundstelle des Windlings mit einer imaginären Linie
zu verbinden. Da der Windling im Fluge einen direkten Weg genommen hätte,
so wäre es relativ einfach seinen Herkunftsort und somit die Elfenstadt
zu finden. Zudem hatten wir auf dem Siegel die Umrisse eines Baumes zu
erkennen geglaubt. Wir nahmen also an, dass sich an diesem Ort eventuell
ebenfalls ein "altehrwürdiger Baum" befinden könne.
Ergo: Per Baumtor zurück zum Clan und Bericht erstatten über
die gefundene Botschaft. Dabei waren wir erfreut, dass sich diese gedachte
Linie ohnehin mit unserem ursprünglichen Weg nach Nosgarsi deckte.
Den Leib des toten
Windlings begruben wir und konnten unsere Reise fortsetzen.
14. April
Am Fuße des Gebirges geschah dann Wunderbares. Oben am Himmel saß
mein geliebtes Brüderchen auf einem fliegenden Teppich. Es war kaum
zu fassen - er war es tatsächlich! Großes Lachen und viel Freude
war an diesem denkwürdigen Tag. Lange saßen wir am Lagerfeuer
beisammen und berichteten uns gegenseitig von den jüngsten Erlebnissen.
Val erklärte, dass seine Gottheit Geladion ihm mitgeteilt hätte,
dass er uns in der schweren Zeit wieder beisteuern müsse.
26. April
In der Ebene ist es immer noch viel zu kalt. Finde jetzt wieder bessere
Kräuter bei meinen morgendlichen Suchereien. Mein Brüderchen
Val begleitet mich jeden Tag und ich bringe ihm viel bei. Wir philosophieren
auch viel über die Magie der Dinge und das Wesen des Seins. Ich glaube,
er versteht nicht alles...
15. Mai
Wir kommen gut voran. Gestern fand ich einen kleinen Batzen Vitalisbeeren.
Ich bin hocherfreut. Ob wir die Elfenstadt Nyr`Tul`Quien je finden werden?
28. Mai
Ich bin entkräftet und mein Körper ist schwer zerschunden. Gestern
begegneten wir einem Dämonenprinzen namens "Blutträne"
und der raffte uns nahezu alle hin. Nur dem heldenhaften Tarn ist es zu
verdanken, dass wir wieder unter der Sonne Chemlons wandeln. Nichtsahnend
war uns das Wesen aus dem Reich der Schatten entgegengetreten und hatte
nach dem Buch verlangt. Kaum das wir uns versahen, waren wir schon in
einen erbitterten Kampf verwickelt. Es dauerte nur wenige Minuten bis
Val, Kha`na Wa und ich tot im Staube lagen. Zwar hatte ich der Blutträne
noch einen Knochenbrecherzauber verpassen können, nachdem ich bereits
zu Boden gegangen war, doch dann schwanden mir die Sinne. Tarn erzählte
mir später, als er mich mit einem Blutmoos zurück ins Leben
geholt und er den Dämon in die Flucht geschlagen hatte, vom Verlauf
des schicksalhaften Ringens. Der Mönch beschwor seinen Gott Perilin,
Mitglied im Heiligen Konvent, und bat um Schutz und Beistand. Dieser erhörte
ihn, so sagt jedenfalls Tarn, um im Kräftemessen mit der Blutträne
den entscheidenden Ausschlag zu geben. Ich halte dieses religiöse
Gefasel zwar für eine infame Ausgeburt der Fantasie, aber letztlich
muss auch ich eingestehen, dass er uns alle vor der sicheren Verdammnis
bewahrte. Zudem war ich noch zu sehr von meinem vermeintlichen Ableben
geschwächt, um große wie viele Widerworte zu finden. Also hörte
ich mir auch an, was Tarn seinem Gott an Versprechen für Hilfe machte:
Er wolle fortan Perilins Weihepriester sein und dessen Kunde in den Landen
verbreiten. Ferner werde er zehn weitere Gefolgsleute für diesen
- meiner Ansicht überschätzten Gott - finden und sie in den
Geboten Perilins unterweisen.
Wesentlich beunruhigender
empfinde ich den Teil von Tarns Bericht, in dem er schilderte wie der
Dämonenprinz bei seinem Abgang sagte, dass er uns "wiedersehen"
werde. Mich beschleicht der Verdacht, dass wir wie schon bei dem Dämon
Molkott ein Dämonenmal mit uns herumtragen könnten.
Nachdem wir alle wieder
bei Bewusstsein waren, da beschlossen wir, dass eine mehrtägige Rastzeit
an diesem Orte von Vorteil wäre. Insbesondere mein schlechter gesundheitlicher
Zustand macht eine sofortige Fortsetzung der Reise unmöglich. Ich
fühle mich schwach und elend.
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