Chemlon, irgendwo im Lande Norgroth des Jahres 704

17. Januar
Wir warteten eine Weile vor diesem Loch im Boden. Asra hatte uns gebeten hier zu verweilen. Nach rund zehn Minuten des Ausharrens bemerkte ich ein Flimmern in fünf Meter Entfernung. Aus einem merkwürdig flureszierenden Lichttor flog ein kleiner männlicher Windelf. "Freunde, tretet ein", sprach der Kleine zu uns und stellte sich mit seinem Namen Divanda Suma. Wir taten es ihm gleich und nannten unsere Namen und unsere Professionen. Da wir dem Ort viel Vertrauen schenkten, so folgten wir auch unbekümmert seinen Worten und schritte durch das Tor. Plötzlich standen wir dann durch den Übergang zu einem anderen Orte mitten unter einem riesigen Baum von mindestens zehn Metern Durchmesser. Dieser wiederum befand sich in einer schier endlos großen unterirdischen Anlage. Überall wimmelte es betriebsam von Windelfen jeglichen Alters und auch andere Wesen wie Elfen jeder Couleur sah man in der unterirdisch mit viel Geschick angelegten Stadt. Mit einem Blick auf astraler Ebene erkannte ich die besonders starke magische Präsenz, die wohl von dem Baume ausging. Der muss unfassbar alt sein, dachte ich mir. Divanda Suma sagte uns, dass wir uns in Begleitung von Asra in der Stadt umschauen dürften bis der Rat uns empfangen werde, um sich unser Begehren anzuhören. Der Windelf verabschiedete sich sodann auch gleich von uns. Asra erklärte uns einige wichtige Einzelheiten zum Clan der magischen Verbindung: Der Baum war das Zentrum der riesigen Hallen, die einen geschätzten Durchmesser von rund 80-100 Metern hat. In der Krone des Baumes befanden sich offensichtlich nur einige ausgewählte Quartiere, entlang der Innenwände der Halle waren zahlreichere Behausungen, Wohnungen und Gebäude ohne sofort erkennbaren Verwendungszweck angelegt. Die ganze Stadt wurde von einem mystischen Licht erhellt, welches vom Baume ausgeht.

Ich befragte sogleich auch wieder Asra nach Informationen zu meinem Ziehvater Tal`Sea. Sie antwortete, dass ich mich in dieser Sache besser geduldigen solle, um dann im Ältestenrat den Geisterbeschwörer Saman dazu zu befragen. Die Windelfin wollte also nicht mit der Sprache rausrücken, nun gut.

Wir beschlossen, uns zum Marktplatz führen zu lassen, um dort Kräuter zu tauschen, nach magischen Gegenständen zu suchen, kurz: wir wollten Geschäfte machen und Informationen einholen und da bieten sich für gewöhnlich Märkte und Pinten immer sehr an. Beim wuseligen Schachern und Feilschen, dem teils lauten Preisen der Waren und marktschreierisch feilgebotenen Waren fühlte ich mich gleich wohl. Astralsichtig erkannte ich an einem Stand sofort zwei magische Gegenstände: einen Schuppenpanzer und ein Schwert. Der Händler, dem die Auslage gehörte, ließ sich Prathul rufen und war recht freundlich. Nach kurzer Unterredung war klar, dass seine Kostbarkeiten für uns nicht in Frage kommen würden und so erkundigten wir uns nach dem besten Schmied am Platze. Der Zwerg wies uns den Weg und so kamen wir zur Schmiede des "Schartik", einem Mitglied des Rates, wie sich schnell herausstellte. Denn er war nicht abwesend und wir konnten lediglich mit einem zum Ersatz dort stehenden Verkäufer sprechen, der uns leider keinen guten Preis für zwei Syhak-Hörner geben wollte. Also schlenderten wir weiter auf dem Marktplatz. Auf der Suche nach einem Barden, dem ich meine Maske des Mondes zeigen wollte, wurden wir schnell fündig. Arandi, so sein Name, spielte ein Lied auf einer Flöte als wir zu ihm kamen. Wir waren sehr ergriffen von den schönen Tönen und warteten ab, bis er geendet hatte. Dann wandte er sich zu uns und fragte nach unseren Wünschen. Ich zeigte ihm sofort vertrauensvoll die Maske und fragte ihn nach seiner Meinung. Als Gegenleistung für sein Bemühen bot ich ihm an, die Geschichte zu erzählen, wie wir bei der Geburt eines Drachen anwesend waren. Zunächst hielt er mich wohl für einen Schwätzer, konnte er doch diese Bermerkung nicht für voll nehmen, wie er sagte, doch als der schneidige Paladin Kha`na Wa meine Geschichte unterstützte und ihm Reste von der Eierschale des Drachen zeigte, da willigte er gerne dem Geschäft ein. Er sagte mir dann innerhalb von nur wenigen Minuten Betrachtung der magischen Maske, dass diese ein sehr seltenes Stück sei, welches einst vor lange Zeit von Geschwistern hergestellt wurde. Von einem Geisterbeschwörer namens Aswa und einem Magier, der Narrischei geheißen hatte. Das passende Gegenstück zu dieser Mondmaske sei die "Maske der Sonne". Der Barde Arandi riet mit nach den Konsultationen beim Rat einmal die große Bibliothek aufzusuchen. Kha`na Wa, der sein Schwert Frostnarbe beim Barden zur einwöchigen Untersuchung zurückließ, grummelte ein wenig, da er dann die stolze Summe von 250 Goldstücken für dessen Dienste zu zahlen würde haben. Denn die Geschichten, die der Paladin dem Barden anbot, fanden das Interesse des Arandi ganz und gar nicht.

Da wir nun bereits zu erwartende Ausgaben zu verbuchen hatten, mussten wir uns Gedanken um die Einkommensseite machen. Der Betbruder-Mönch Tarn wollte daher Kräuter beim Marktstand mit dem hübschen Namen "Gute Beere" verscherbeln. Dort empfing uns der Händler Aschaid und wir bekamen beim Verkauf einer Segensblume, einigen Dämonenbeuteln und Kleinigkeiten wie Frost- und Feuermoos den Erlös von 450 Goldstücken zusammen. Im Tausch gegen ein Organ der von uns getöteten Hydra und einigen anderen Kräutern bekam ich Heiltränke, eine aggressive flüssige Mixtur und ein Gegengift. Im Gegenzug für weitere Kräuter und Beeren wollte er uns drei Amulette verkaufen. Ich bekam eines namens "Verzweiflungszauber", der Paladin ein "Verzweiflungsschlag" und Tarn eins zur "Dämonenabwehr".

Nach dem Marktbesuch wurden wir müde und Asra wies uns eine Nachtquartier. Sogar eine vegetarische Mahlzeit, bekömmlich, aber nicht zu lecker, hatte man für uns in petto. Nach dem Mahl kam dann plötzlich eine Windelfin und sagte uns, dass der Rat uns nun empfangen möchte.

Wir wurden zum großen Baum geführt. Dort ließ lange Aufgänge an Lianen herab über die wir höher in das Geäst stiegen. Nach einer ganzen Weile und Menge von hölzernen Treppenstiegen kamen wir direkt ins Zentrum der Baumkrone. Auf größeren Platz, einer Fläche saßen im Halbrund sechs Gestalten in ihren Stühlen und erwarteten uns bereits. Zwei Windelfen on Roben, einen finster dreinblickenden Zwerg und einen Hochelfen konnte ich sofort ausmachen. Der Zwerg, offenbar ein Geisterbeschwörer, trug eine Kette um den Hals, deren Glieder Totemschädeln nachempfunden waren. Abseits dieser Sechserrates standen weitere Personen. Wir wurden vorgelassen. Ein sehr alter Windelf stellte sich mit Marasswie vor: "Tretet näher, Oberweltler! Und saget uns, warum ihr hierher gekommen seid." Tarn machte den Anfang und stellte sich als Diener des Gottes Perilin vor. "Wir sind geleitet von höchster Stelle", erklärte Tarn gerade als der alte Windelf näher an ihn heranflog und schnell wie fingerfertig sich das Amulett der Götter schnappte und besah.

Marasswie erkannte offensichtlich daran die Richtigkeit von Tarns Angabe und sagte, dass man so hoch im Norden sehr vorsichtig sein müsse in einer Zeit, in der Chemlon bis in südliche Regionen hinein befleckt sei. Dann murmelte er etwas von "einer Legende der Sklaven, die sich erheben..." Auf meine Nachfrage hin, was das für eine Geschichte sei, unkte er, dass man nichts genaues sagen könne, da das Spiel der Erhabenen magisch fließend wäre und von unbestimmter, sich oft wandelnder Natur.

Uns wurde sodann unbeschränktes Besuchsrecht beim Clan eingeräumt. Der Barde sollte sich außerdem um uns kümmern. Meine Fragen nach meinem Ziehvater Tal`Sea wussten sie nicht zu beantworten. Der alte Windelf sagte etwas wie "er hat uns besucht, aber leider nicht aufgesucht" vor langer Zeit. Sanana Wassvana, der grummelige Zwerg und Geisterbeschwörer, blickte dabei seltsam finster drein.

Dann erhob ich das Wort und fragte, ob in einer heiklen Angelegenheit von größter Bedeutung der Kreis des Rates auf das Nötigste verkleinert werden könne. Der alte Windelf wies nach kurzem Augenkontakt mit den restliche 5 Ältestenräten einige andere Beisitzer vom Platze. Dann erzählte ich die Geschichte, wie wir in den Besitz des Buches "Begehung des Jenseits" gekommen waren und uns seither das Gefühl beschlich nicht ganz unverfolgt zu sein. Sanana Wassvana erbat das Buch zur Ansicht und nach reiflichem Zögern zog ich es unter dem Mantel hervor und reichte es ihm. Der zwergische Beschwörer legte es sich sodann sofort auf die Knie und begann darin zu unserem großen Erstaunen interessiert zu blättern. Als mich Wassvana fragte, woher wir dieses Buch hätten, erzählten wir ihm von unserer Befreiung aus der Sklavenknechtschaft auf der Insel im hohen Nordosten. Ich gab ihm auch den Totenschädel des Geisterbeschwörers, den ich damals eingepackt hatte. Der Zwerg befühlte ihn und sagte etwas wie "der alte Narr, ich hätte es wissen sollen..." Dann berichteten wir von unserem Plan, das Buch in den Süden zum Geisterbeschwörer Vrok zu bringen und alles was dem grimmigen Zwerg durch die Zähne pfiff, das war ein launischer Satz. "Nun... immer wieder dieser alte Mann. Aber ich denke, ihr solltet an dem Plan festhalten."

18. Januar
Nach der Unterredung beim Ältestenrat wurde uns ein neues, besseres Quartier gewiesen. Am frühen Morgen schon teilten wir uns auf, denn jeder einzelne wollte seinen Geschäften in der Stadt nachgehen. Ich konnte es gar nicht erwarten, in die große Bibliothek zu kommen. Dem Barden wollte ich eine eigene Abschrift meines Tagebuches schenken, damit er die Kunde unserer Abenteurer in Chemlon verbreiten möge. Der Vorsteher von diesem imposanten Hort des Wissens begrüßte mich bei meiner Ankunft freundlich. Er hieß mich gleich ihm in sein Studierzimmer zu folgen. Dort fand ich - sehr zu meiner Verwunderung - den zwergischen Geisterbeschwörer Sanana Wassvana auf mich wartend vor. Er blickte mich wiederum übel gelaunt an und sagte, dass er lediglich hier sei, um eine Schuld zu begleichen. Vor langer Zeit bat ihn einst mein Ziehvater, der gute Tal`Sea, um diesen Dienst. Nun müsse er nun die Schuld begleichen, ob er nun wolle oder nicht. Sanana Wassvana grummelte und hielt mir also eine Schriftrolle hin, die ich entgegennahm. In ihr waren drei Zaubersprüche aufgezeichnet. Dann sagte er noch, dass das Buch des Jenseits eines von drei Büchern sei, welche als Schlüssel gelten. Meine Bitte, mich in den Fertigkeiten eines Geisterbeschwörers weiter auszubilden, wollte er nur widerwillig entsprechen, tat es aber letztlich stirnrunzelnd doch.

Meine Gefährten und ich beschlossen später am Tag dann, dass wir rund zehn Wochen beim Clan verbleiben wollen. Eine lange Zeit, doch in der Höhle war es zumindest sicherer als in der Wildnis, wir konnten viel lernen und letztlich war an eine Überquerung des westlichen Kreuzgebirgs-Armes im Januar oder Februar auch gar nicht zu denken.

19. Januar
In wenigen Tagen beginnt die Lehre beim Zwerg. Ich fürchte, dass der Miesepeter mich so richtig schlecht behandeln wird.

12. Februar
Ich komme wirklich nicht zum Schreiben, da ich sehr viele Bücher in der Bibliothek stöbere. Auch die Lehrzeit bei Meister Sanana Wassvana war ein hartes Brot und kein Zuckerschlecken.

17. März
In den nächsten Tagen wollen wir aufbrechen. Wir sprachen beim Rat vor, um die Wege zu erfragen, die dann vor uns liegen mögen. Es war sehr nett, dass man uns eine Karte Chemlons anfertigte. Jetzt wissen wir zwar nicht wo was genau ist, aber immerhin kennen wir die Umrisse der bekannten Welt. Um in den Süden zu kommen, müssen wir tatsächlich das Kreuzgebirge überqueren, es gibt quasi keine andere Möglichkeit. Uns wurde zwar von einem Volk von Zwergen am Rande des Gebirges berichtet, welches uns vielleicht einen Weg in unterirdischen Tunnelsystemen zur östlichen Seite der Berge weisen könnte... Aber wir blieben beim ursprünglichen Plan, so direkt wie möglich gen Süden zu ziehen. Ein Empfehlungsschreiben des Rates für das Zwergenvolk nahmen wir allerdings prophylaktisch dennoch mit.

Unser Ziel im Süden sollte zunächst die Stadt Nogarsi sein, wobei der Rat keine Auskünft erteilen konnte, ob diese Siedlung überhaupt noch existierte. Rund 4200 Kilometer würden wir zurück zu legen haben, um genau dies heraus zu finden.