Chemlon, irgendwo
im Lande Norgroth des Jahres 703
15. Dezember
Es stürmt und schneit ein wenig. Es ist traurig, dass so wenig von
der einst blühenden Elfen-Siedlung Jasch`Gorn übrig geblieben
ist. Aber jetzt wollen wir uns die verborgenen Höhlen näher
anschauen und wollen durch den geheimen Eingang, der sich hinter einem
Wasserfall befindet, in die alten unterirdischen Kammern eintreten. Gleich
nach dem Frühstück geht es los.
16. Dezember
Ich habe das Erbe meines ehrwürdigen Großvaters Tal`Sea angetreten.
Sein Vermächtnis ist groß und voll von weiser Voraussicht.
Es wurde mir offenbart, dass der greise Geisterbeschwörer, dem ich
seit meinen frühesten Kindstagen nacheiferte, vielleicht sogar noch
unter den dunklen Wolken Chemlons wandelt. Ich nehme an, dass Tal`Sea
lebt und ich ihn eines fernen Tages noch werde wiedersehen. Daran klebt
meine Hoffnung nach einem besseren Morgen. Ich will mich aber herablassen
und von den Begebenheiten berichten, die an dem gestrigen Tage geschahen.
Nachdem wir uns aufgemacht
hatten, zum Höhleneingang zu schreiten, erkannten wir schnell, dass
dort ein gewaltiges Etwas seine Spuren hinterlassen hatte. Vor dem Übergang
in die Katakomben waren rund drei Meter breite Abdrücke im Winterboden
und der Eingang war durch enorme Kraft in gleicher Breite durchbrochen
und somit erweitert worden. Wir stellten fest, dass jenes Gestein "magisch
bearbeitet" worden war. Thal wertete seine Kenntnisse in Kreaturenkunde
aus und sagte, dass dafür eine Hydra verantwortlich gewesen sein
könnte.
Vorsichtig ob dieser
Bemerkung tasteten wir uns weiter hinein in das unterirdische System.
In den ersten Kammern konnten wir keine weiteren Hinweise finden. Zur
rechten Hand folgten wir dann einem Stollen, der uns zu einem befestigten
Turm führte, welcher in einem unteririschen, kleinen See stand. Eine
hölzerne Brücke führte zu ihm. Die Tür des Turmes
war genauso zerstört wie das verwüstete Innenleben. Wir nahmen
uns vor, hier eine genauere Untersuchung anzustellen, nachdem wir das
Terrain nach möglichen Gefahren abgesucht hatten. Von einem kleinen
peinlichen Zwischenfall, bei dem ich beim Versuch eines Sprungs in das
kalte Wasser des Sees fiel, möchte ich hier nicht weiter berichten.
Als wir dann in eine
große Halle vorstießen, immer noch auf der Hut, wurden wir
überrascht von einer siebenköpfigen, monströs großen
Hydra, die auf uns zupreschte. Die mit gewissen magischen Fähigkeiten
ausgestattete Ausgeburt des Bösen belegte uns mit einem mörderischen
Frostodem und griff umgehend Thal und mich an. Nur Kha`na Wa, der furchtlose
Paladin, stand noch als Fels in der Brandung der Hydra entgegen. Später,
nachdem Kha`na das furchtbare Ringen mit dem Ende des Lebens glorreich
für sich entschieden hatte und uns wiederbelebte, berichtete er mir
von dem Kampf:
Er hatte den größten
Kopf des Wesens von seinem Rumpf getrennt und sogleich hatte sich dann
in einer Mulde der Höhle das Blut des Monsters gesammelt und einen
kleinen See gebildet. Der Paladin hatte das Gefühl, dass ein Bad
im Blute seine wundersame Wirkung haben könne und sprang sogleich
hinein. Dass er dies vor unser Wiederbelebung tat und er bei diesem eigensinnigen
Versuch fast ums Leben gekommen war, dass schmälerte durchaus sein
heroisches Töten der Hydra, denn wegen dieses Leichtsinnsfehlers
wäre unsere Gruppe doch tatsächlich fast und ohne Not kläglich
geendet.
Als wir wieder bei
Sinnen waren, da erblickten wir den Blutsee natürlich auch und wiederstanden
nicht der Versuchung, das Risiko zu wagen und hinein zu springen. Jedoch
sei angemerkt, dass wir dies in einem Moment taten, in dem unsere Gefährten
bei Bewusstsein mit uns waren und somit auch in größter Gefahr
zur Seite gestanden hätten. Denn mittlerweile war klar geworden,
dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, bei dem Bade üblen Schaden
zu nehmen. Da sich aber umgekehrt eine verlockende Stärkung einstellen
konnte... Und Thal und ich waren dann auch wesentlich "glücklicher".
Uns ging es ausgesprochen gut und wir fühlten uns besser denn zuvor
als wir aus dem Blutsee der Hydra stiegen.
Wir hielten Ratschlag
und erkannten bei näherer Untersuchung des toten Monsterleibes, dass
dieses Wesen wohlmöglich von einem höheren Dämonen hierher
geschickt worden war, um einen Auftrag zu erfüllen. Damit schien
uns klar, dass die andere Seite auch nach dem Tod des Dämonenfürsten
Molkott unsere Spur nicht verloren hatte. Besondere Vorsicht war weiterhin
geboten.
Beim weiteren Durchsuchen
des unterirdischen Labyrinths erinnerte ich mich daran, dass mein Ziehvater
Tal`Sea hier einst einen ihm sehr wichtigen Ort hatte, den er häufig
aufsuchte. Es war ein kleine Tümpel, von dem er Val und mir sagte,
dass dieser größte Bedeutung habe. Nach wenigen Minuten fanden
wir ihn. Eine spiegelglatte Oberfläche seltsamster magischer Struktur
lag vor uns. Nicht wirklich eine Art Wasser, dachte ich mir beim Anblick.
Ich sah dort unter der schimmernden Oberfläche eine Bewegung, aber
ein Gefühl der Gefahr erwuchs hier nicht. Ganz im Gegenteil sogar.
Wir traten sogleich näher heran und Thal versuchte, seine Hand in
den "Tümpel" zu halten. Die Oberfläche waberte jedoch
nur seltsam, bewegte sich leicht und erwies sich als feste magische Barriere,
die ein Durchdringen nicht zuließ. Auch Kha`na Wa probierte es mit
gleichem Erfolg: Nichts geschah. Leblose Dinge aber, wie sich bei einem
Test herausstellte, glitten durch die Oberfläche hindurch. Wir überlegten
eine lange Weile, doch eine zündende Idee wollte uns nicht kommen.
Wir waren nahe daran aufzugeben, als ich auch einmal meine Hand auf die
Fläche legte. Plötzlich und augenblicklich quasi beschrieb die
unter der Oberfläche hin- und herhuschende Gestalt einen Satz, der
nun lesbar wurde. Thal sprach ich laut: "Wenn du es hast, willst
du es weitergeben. Wenn du es weitergibst, dann hast du es nicht mehr."
Die Bemerkung des Paladins, dass dies ein Rätsel sein müsse,
war genauso richtig wie völlig überflüssig. Auch hier zeigte
sich dann in der Folge, dass die geistige Überlegenheit eines Geisterbeschwörers
nicht zu leugnen ist. Denn wir Verehrer der dunklen Künste bedenken
ein Problem immer von der Lösung her. Wir wollen das Wesen der Dinge
erkennen, um die Lücken in der Gestaltung der Welt für unsere
Zwecke nutzen zu können. Nicht zuletzt ja auch, um das Leben nach
der Musik eines Trauermarsches tanzen zu lassen. Aber dieser Exkurs führt
an dieser Stelle zu weit. Erklärt sei, dass der gute Thal laut sprechend
einen für mich verwertbaren Hinweis murmelte und ich die Lösung
fand. Laut sprach ich "Das ist das Geheimnis" und die magische
Oberfläche verschwand wie durch Geisterhand.
Zu unser aller Überraschung
schoss sogleich ein kleiner lindwurmartiger, mit Flügeln behafteter
Geist auf mich zu und begrüßte mich sehr freudig in der Geistersprache:
"Ich bin Honschu, ich bin der Honschu, Vater hat mich hier für
euch hinterlassen, Moriater! Ich bin Honschu, ich bin Honschu!" An
den Gesichtern meiner Gefährten konnte ich ablesen, dass ihnen dieses
sich an meinen Hals werfende, mich aufgeregt umschwirrende Wesen etwas
unbehaglich war. Immerhin verstanden sie dessen Sprache auch nicht. Ich
erklärte ihnen also, dass es sich um ein freundliches Kerlchen handele
und mein Großvater es für mich hinterlassen habe. Außerdem
erfuhr ich von Honschu, dass dieser magische Tümpel eine hochwertige
magische Sperre Tal`Seas sei, die den Abgang zu seinen geheimen Arbeitsräumen
sicher versperrte. Jetzt nahm ich auch die hinabführende Treppe wahr,
die sich vor uns auftat. Nach einer Erklärung für meine Mistreiter
stiegen wir hinunter. Honschu plapperte ständig interessantes Zeugs
und ich erfuhr, dass er den Auftrag habe, mir fortan zu dienen, mich mit
seinen Fähigkeiten immer unterstützen wolle und sich sogar unsichtbar
machen könne.
In der unordentlichen
Kammer am Ende der Treppe, dem alten Arbeitszimmer von Tal`Sea, lagen
verschiedene Gegenstände herum, von denen Honschu zu erzählen
wusste, dass diese in der weisen Voraussicht seines alten Meisters für
eine einst mit mir erscheinende Gruppe von Abenteurern bestimmt seien.
Ein Paar Handschuhe, ein Langschwert und eine kristallerne Augenklappe
fanden wir. Auf dem Pult in der Mitte des Raumes lag das Tagebuch meines
Großvaters. Daneben fand ich ein Buch zur Magie der Geisterbeschwörer
und eines zur Magielehre an sich. Darin fand ich später eine ganze
Reihe mir bis dato unbekannter Zaubersprüche. Werde sie bei Gelegenheit
lernen und ausprobieren. Honschu, hier wurde ich sehr hellhörig,
sagte, dass mein Großvater beim Angriff der Orks von Waan dann einfach
"verschwand". Dies müsse bedeuten - so meine Deutung -
dass er zumindest den Überfall auf Jasch`Gorn unbeschadet überstanden
hatte. Ich beschloss mein Leben der Suche nach ihm zu widmen und die zu
strafen, die den Sitz des Clans einst überfielen. Ich werde ihn finden!
Wegen der weiter bestehenden
Bedrohung durch die Niederweltler beschlossen wir, die Nacht in dem Studierzimmer
zu verbringen. Um ungestörten Schlaf zu haben, bat ich Honschu die
magische Barriere wieder zu aktivieren. Die Vorrichtung sollte auch aktiviert
sein, wenn wir am nächsten Morgen unseren Weg zum Orden der Magischen
Verbindung fortsetzen würden. Rund drei Wochen des Weges, so schätzen
wir, waren wir von unserem Ziel noch entfernt.
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