Chemlon, irgendwo im Lande Norgroth des Jahres 703

14. November
Wir sind auf dem Weg nach Jasch` Gorn. Entlang des Kreuzgebirges, am Saum der Felsenwände bewegen wir uns. Zwar ist es noch lausig kalt, doch die Landschaft zeichnet sich deutlich durch erlesenere Kräuter aus, die ich hier in der Lage bin zu finden.

21. November
Seltsames ist heute geschehen. Val rief uns zu, ob wir auch dieses mädchenhafte Kichern in der Luft über uns zu hören vermögen. Plötzlich landete vor uns ein Zweig mit fünf Beeren dran. Wir aßen die Früchte, die ein seltsames inneres Leuchten hatten, nach genauester Geruchprobe. Ein wundersames Empfinden stellte sich ein.

22. November
Wir rasteten gestern zeitig und schliefen früh ein. Tarn weckte uns am Morgen und berichtete aufgeregt von seinem Traum. "Drohendes Unheil für das Kloster an der Pforte von Deladrien habe ich gesehen", orakelte er. Dort seien astrale Verwerfungen und er glaube an eine Bedrohung aus dem Dunkelreich. Wir konnten zwar nicht recht die panische Hektik in seinen Äußerungen verstehen, kamen aber überein, die Entfernung von rund drei Tagen bis zum Kloster zurück zu legen, um nach dem Rechten in seiner alten Lehrstätte zu sehen.

25. November
Am sehr späten Abend kamen wir zum Kloster. Wegen der unheimlichen Geschichte des so genannten Bettelmönchs Tarn waren wir auf den letzten Metern doch noch recht vorsichtig und näherten uns der alten Festungsanlage langsam.

Letztlich erkannten die vor Angst deutlich bibbernden Wächter den Tarn und ließen uns in die in die Anlage eintreten. Wir wurden zum Vorsteher des Klosters, zu einem gewissen Yoti geführt. Der berichtete uns von der Not, die über die Betbrüder gekommen sei. Ich hatte von Anfang an ein sehr ungutes Gefühl bei diesem Knaben. Das bestätigte sich zwar nicht tatsächlich, doch suspekt bleiben mir immer diese gutdünkelnden Wesen. Dieser Abt namens Yoti erzählte von dem Erscheinen eines Dämonenfürsten, der "etwas" forderte. Tarns Lehrmeister Ruven aber stellte sich dem Dämon entgegen und handelte dann eine Abmachung aus. Gemäss dieser musste Ruven mit dem Dämon gehen und sich opfern, damit dafür das Kloster verschont bliebe. Tarn war sehr bestürzt über diese Vorkommnisse und darüber, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering einzuschätzen war, dass sein Mentor noch unter der Sonne Chemlons wandele. Dann erfuhren wir, dass der Dämon wohl auch Einlass in die geheime Bibliothek forderte. Humm - bei der Nennung einer Sammelstelle für Wissen wurde ich unruhig. Wenn mich schon das Leid der Klosterpfaffen nicht interessiert hatte: für das Aneignen von Wissen und Macht sind meine Ohren immer offen.

Yotis Blick trübte sich dann plötzlich ein, er stutzte und besah sich mein Brüderchen Val genauer. Dann kam er doch tatsächlich zu dem Schluss, dass Val Kisar der legitime Abkömmling und Erbe des Fürstengeschlechts sei, welches einst diese Anlage errichtete. Wir waren alle überaus verblüfft. Bei einer Mahlzeit zur Stärkung unserer Kräfte wurde dem Val dann seine Familiengeschichte unterbreitet und ihm der Vorschlag gemacht, dass er nun den Nachlass seines Großvaters übernehmen und hier bleiben könne. Aber dies ist eine traurige Geschichte und vor allem eine andere. Beklemmend war nur, dass die kleinere Hälfte der Gebrüder Tod sich auch dazu entschloss im Kloster sein Erbe anzutreten. Val wollte also nun sein Erbe antreten und in der geheimen Bibliothek auch dann das seiner Gottheit Geladion gemachte Versprechen erfüllen und sich den magischen Studien widmen.

Am nächsten Tag wollten wir uns auf die Suche nach dem verschleppten Ruven machen. Tarns Nervosität kam mir sehr bedenklich vor.


26. November
Wir machten uns im Morgengrauen auf die Spurensuche. Nach langem Mühen gelangten wir zu einem Höhleneingang. In dieser kleinen Grotte mussten wir Furchtbares sehen. Ruven war bestialisch gemordet worden und mit seinem Blute hatte der Dunkelblüter wüste Graffiti- Schmähungen an die Wände geschrieben. Sie waren als eine "Kampfansage gegen die Götter des Diesseits" zu verstehen. Neben dem Leichnam war zudem mit letzter Kraft eine Botschaft an Tarn auf den Boden geschrieben worden. Ruven teilte seinem ehemaligen Schüler mit, dass er sein Erbe sein solle und sein Besitz in dessen Hände fallen möge. Den grauenhaft zugerichteten Ort reinigten wir sorgsam von allen dämonischen Schmierereien und wuschen auch alle bösen Runen von den Wänden.

27. November
Wir kehrten zurück ins Kloster uns berichteten Yoti von den Ereignissen. Ruvens toter Leib sollte schon bald bestattet werden. Yoti schickte sich sofort an, die Bestattungszeremonie vorzubereiten. Ich hingegen ging zum Archivar der geheimen Bibliothek, der mir gegenüber etwas schroff war. Die Betbrüder wissen halt einen ordentlichen Geisterbeschwörer nicht richtig zu schätzen. Tarn war aber bei mir und überzeugte sie davon, dass ich auf der guten Seite stehe. Ich setzte mich sofort an einen kleinen Tisch und fragte nach magischen Büchern.

Neben einem sehr interessanten Buch mit dem Titel "Allgemeine Geisterbeschwörerkunde" legte man mir ein rund 20 Seiten dünnes Heft, ein Büchlein in Leder gebunden vor, welches zu meiner größten Begeisterung offenbar eine unvollständige Abschrift der ersten Seiten von der "Begehung des Jenseits" war. Leider durfte ich sie nicht mitnehmen...

Damit die Kunde von meinen Heldentaten in Chemlon die Runde macht, habe ich dem Archivar eine vielleicht lediglich in unwesentlichen Passagen geschönte Abschrift unserer Abenteuer überlassen. Er war nach anfänglicher Skepsis meiner Person gegenüber doch erfreut darob. Ein Buchbinder-Mönch soll das Werk in Leder fassen. Es trägt den Titel: "Der dunkle Stern geht auf - Aus dem Leben und Lernen des Geisterbeschwörers Moriater Gulgauer."

28. November
Die feierliche Beerdigung habe ich als einen der Höhepunkte empfunden. In meiner Kindheit habe ich mich immer besonders gern auf Friedhöfen aufgehalten, wenn mein Clan wen unter die Erde brachte. Am nächsten Tag wollten wir unseren Weg nach Jasch`Gorn fortsetzen. Der Abschied von meinem kleinen Brüderchen rückte näher und wir taten einen Blutschwur. Wir bekundeten auf immer und ewig miteinander verbunden sein zu wollen, auch über die Grenzen des diesseitigen Lebens wollten wir einen Bund eingehen und besiegelten ihn mit einem tiefen Schnitt auf der Innenseite des Unterarms. Dann pressten wir die beiden Wunden aufeinander. Fortan möge uns in der Nähe des Todes der Brüder im Geiste ein hilfreiches Wort und ein wertvoller Rat sein, sprachen wir im Chor.

29. November
Aufbruch. Schnell weg aus dem Norden. Auf zu den Plätzen meiner Kindheit. Ach, es wird mir nur die halbe Freude sein, wenn ich wieder auf den Hügeln stehe und meinen kleinen Bruder nicht von selbigen ins grüne Gras werde schubsen können...

11. Dezember
Am gestrigen Abend erreichten wir eine Ansammlung seltsamer Bäume mit weit gefächerten Kronen. Da die Umgebung nasskalt, feucht und uns der Boden besonders morastig erschien, kletterten wir in das Geäst, um ein Nachtlager einzurichten. Als wir am heutigen Tag früh erwachten, da stellten wir rindenartige Flechten auf den Handrücken fest. Und diese Veränderung hat sich bei uns allen eingestellt. Unsere Vermutung war, dass wir großes Glück hatten, denn es erschien uns offensichtlich, dass wir eine gehärtete Haut verliehen bekommen hatten.

14. Dezember
Ankunft Jasch`Gorn. Kein Gefühl der Geborgenheit, so wie einst in Kindstagen, verspüre ich. Der Ort ist nicht mehr, was er einmal war. Vielleicht werde ich in ferner Zukunft meine Lehranstalt für die dunklen Künste hier errichten. Denn immerhin ist der Platz weit genug entfernt von geordneter Zivilisation, so dass hier eine Menge an Schabernack und Geisterspuk zu inszenieren wäre. Die wahre Macht des orkischen Königreichs Waan wäre zudem auch viele, viele Reisetage entfernt. Trotz der erhöhten Gefahrenlage müsste ich eine ruhmreiche Kultstätte direkt zwischen die Linien von barbarischem Norden und sichererem Süden platzieren. Nun, man wird sehen, was die Götter mir in die Waagschale des Schicksals legen werden. Shuzuk, gepriesen sei dein langer Arm im Spiel der Götter wie auch deine Diener unter deiner schützenden Hand dein Werk vollbringen mögen!