Mit einigen Mühen konnte Val`Kiisar neben zwei leicht zu entziffernden, orkischen G-Runen eine dritte ausmachen, die laut Plan genau bei einem der Türme der Wehranlage eingezeichnet war. Das Rätsel nahm langsam Konturen an, auch wenn wir ob dessen Lösung oder genauem Umfang völlig ahnungslos verblieben. Es wurde nur Schritt für Schritt deutlich, dass wir diejenigen sein sollten, die hier eine Aufgabe zu bewältigen hatten. Was auch immer es sein mochte: Wir müssten versuchen, die Initiative in den Händen zu behalten. Wir müssten dem Mysterium auf den Grund gehen. Die beiden anderen G-Runen auf der Karte beschrieben eine ungefähre Lage von den Eingängen, die von den Orks gesucht worden waren, vermuteten wir. Die schwer zu entziffernde Rune hingegen konnte, so die Hoffnung, einen bisher von den Orks völlig übersehenen Punkt markieren. Zwischen diesem und uns befanden sich allerdings noch zwei Orkwachen, die zunächst überwunden werden wollten.

Den noch besinnungslosen und schwer angeschlagenen Hannack gruben wir zur Sicherheit und für spätere Verhöre zunächst am nahe gelegenen Strand des schmalen Küstenstreifens bis zum Kopf ein, auch wenn der drängelnde Kha`na Wa mehrfach einforderte, ihm gleich den Schädel zu spalten. Val`Kiisar und ich konnten sein wildes Temperament etwas kühlen. Dann machten wir uns wieder zur Befestigungsanlage auf, um auszuloten, wie ein Angriff am besten zu bewerkstelligen wäre. Einer der vier Türme war stark beschädigt und bot dem erprobten Kletterer Thal Rhasank die Möglichkeit dessen Spitze zu erklimmen. Dort sollte er sich mit seinem Langbogen verbergen und die Orks im Innenhof unter Beschuss nehmen, während wir uns schleichend auf der Rampe zum Eingangstor hin bewegten. Das Feuer eröffnete Thal Rhasank aber erst im Moment als sich Val`Kiisar kurz im Tor zeigte, um die Aufmerksamkeit der beiden Posten auf sich zu ziehen.

 

Die zweite List des Tages glückte, wir hatte die Rechnung mit dem Wirt gemacht. Kha`na Wa und ich stürmten in den Innenhof und Thal Rhasank feuerte unablässig Pfeile ab. Schon der erste Schlag mit der beidhändigen Axt tötete einen Ork und auch der andere überlebte seinen Kameraden nur um wenige Sekunden. Wir nahmen nun den Innenhof in Augenschein. An einer Mauer hing ein Käfig in dem sich viele kleine Vögel befanden, die wir uns nur als Art von Postflattermännern erklären konnten. In den verkohlten Resten des erloschenen Lagerfeuers fand ich einen sehr versenkten Fetzen Pergament, auf dem ich nur noch bruchstückhaft orkische Worte entziffern konnte:

"...ich erwarte Resultate...werdet Ihr ersetzt...wenn...nicht das Buch das ich suche...die Begehung des Jenseits...bald...wird..."

Logisches Denken, so wie Narbeek es mich lehrte, war nicht nötig, um zu erahnen, dass es sich bei der Suche der Orks um die Suche nach einem einzigartigen Buch handelte. Vielleicht wusste Hannack mehr zu berichten. Kha`na Wa und ich zogen also zum Strand, um mehr Informationen über das geheimnisvolle Schriftwerk in Erfahrung zu bringen. Thal Rhasank wollte uns bei Rückkehr mit dem gegrillten Reh verköstigen.

Am Strandstreifen angekommen, stellten wir fest, dass der Orkführer flach atmend dem Tode nah war. Die Befragung war nahezu ergebnislos. Hannack faselte unwillig von "zwei Aufträgen", bekundete sein Unwissen ob genauerer Details und bevor sich Substantielleres herauspressen ließ, spaltete der übereifrige Kha`na Wa dem Ork den Kopf in zwei gleiche Hälften. Wir machten uns auf den Rückweg.

Als wir ankamen bekamen wir einen weiteren Beweis unserer Unerfahrenheit. Ausgerechnet der körperlich schwächelnde Val`Kiisar hatte sich in unserer Abwesenheit eingehender mit der Karte beschäftigt, den passenden Ort zu der eingezeichneten G-Rune im Erdgeschoss des Turmes erkundigt. Aus dem Nebel meiner kindlichen Vergangenheit schälte sich ein Satz meines Vaters ins Bewusstsein, der recht passend auf seinen rastlosen Tatendrang passte. "Neugier macht auch die Katze platt, mein Sohn!", sagte er einmal in großer Aufregung, nachdem ich mich unerlaubt in das Studium von in schweres Leder eingebundenen Büchern seiner Bibliothek gestürzt hatte.

Denn Val`Kiisar hatte tatsächlich den entsprechenden Punkt auf der Karte einer sehr gut versteckten Geheimtür zuordnen können, die er unglückseliger Weise zu öffnen suchte. Bei dem Unterfangen löste er allerdings eine Falle aus, die ihn in Form von aus der Decke herabstürzenden Mauersteinen begrub. Dank Thal Rhasank konnte er aus misslicher Lage befreit werden, die ihm leicht hätte das Leben kosten können.

Nach Verschnauf- und Essenspause machten wir uns dann gemeinsam ans Werk, den geheimen Eingang zu untersuchen. Kha`na Wa konnte die schwer gangbare Tür aufstemmen und vor uns tat sich ein abschüssiger Gang auf. Im Innenhof vorgefundene Fackeln nahmen wir an uns und betraten die Unterwelt der Wehranlage. Nach einigen Metern tat sich zur rechten Hand ein Raum auf, in dem offenkundig vor langer Zeit dämonische Beschwörungspraktiken vollzogen worden waren. Ein typisches Pentagramm auf dem Boden stützte meine These. Der Hauptgang verlief in halbrunder Bahn nach links und wir gingen tiefer hinab. Neben einer Abzweigung zur rechten Hand, die gemäß Plan gut in die Richtung der anderen G-Runen wies, so kombinierten wir, fanden wir noch einen verlassenen, orkischen Quartiersraum und eine leere Speisekammer, bevor wir dann zum Zentrum des unterirdischen Kellers kamen. Ein aus vier Kammern bestehender Komplex aus Wohn-, Labor und Bibliotheksräumen.


 

Dort machten wir eine beunruhigende Entdeckung: Hinter einem vermodernden Tisch, auf dem wir das besagte und gesuchte Buch "Die Begehung des Jenseits" liegen sahen, saß ein skelettierter Halb-Troll. Blanke Knochen, eingerahmt von einem - völlig unverständlich - noch intaktem Umhang. Auf dem Gerippe thronte ein überaus grauenhafter und dankenswerter Weise auch gänzlich toter Totenschädel. In den Kammern, in denen der Staub und der Verfall vieler Jahre Einzug gehalten hatte fanden wir zudem noch nützliche und teils unverständliche Utensilien vor. Ein jeder von uns nahm ein Buch aus den Regalen. Mich überkam ein Schauer des Entzückens als ich meinen kleinen Fund näher betrachtete: Es war der Lederfoliant eines Geisterbeschwörers, den ich da in den Händen hielt.

Wir hatten mit viel Glück ein Rätsel gelöst. Doch uns alle beschlich die deutliche Vorahnung, dass dies erst der Anfang einer sich vor uns türmenden Aufgabe sein könne, der wir noch nicht gewachsen waren. Nun mussten wir Rat halten, wie weiter vorzugehen sei.