Chemlon, irgendwo im Lande Norgroth des Jahres 703

14. Januar
Wir schreiten weiter gen Westen, quer durch dieses trostlose Land der Orks. Es ist des Königs Land. Der Herrscher der Festung der Qualen, Fürst Waan und sein Bruder, gebieten über die Ödlande. Im "Schwarzen Zahn", so erzählt man sich unter den Sklaven Norgroths, da herrsche der grässliche Tyrann des Nordens. Und wir durchstreifen sein Gebiet, na prima und gute Nacht! Aber Val will es ja so und wir frieren in der winterlichen Kälte. Auch müssen wir uns abseits der Wege halten und vorsichtig Orksiedlungen umgehen. Unsere Entdeckung führte sicher zu einer wilden Hatz und unserem verfrühten Verbleichen...

21. Januar
Ich wundere mich, was es tatsächlich mit diesen Ghor-Bäumen auf sich hat. Eines Tages muss ich dem seltsamen Gehölz mal an die Wurzel gehen. Die Siedlungsdichte nahm in den letzten Tagen erheblich zu. Ob wir uns noch lange vor den gelben Augen der Widerwärtigen verborgen halten können?

29. Januar
Bin lange zu keinen Eintragungen mehr gekommen, viel ist uns widerfahren. Will versuchen, keine Details zu vergessen, bin aber wohlwissend, dass dies bei all den neuen Eindrücken und Begebenheiten problematisch zu sein verspricht. Vor vier Tagen erreichten wir einen höchst seltsamen Ort. Genannt wird dieser große Wald "Imreth Daar, die schwarze Insel".
Das erfuhr ich aber erst sehr viel später. Zunächst gelangten wir zu einem Schild, unweit vor dem Saum des Gehölzes aufgestellt. Orkische Lettern standen dort geschrieben und warnten vor dem Wald, denn dort hausten böse Geister. Ich war gleich sehr gespannt und neugierig und auch meine Kameraden waren sogleich der Ansicht, dass man sich das einmal genauer ansehen müsse. 20 bis 30 Meter hohe Ghor-Bäume bildeten vor uns von Norden nach Süden verlaufend ohnehin eine Barriere, die es zu umgehen oder zu durchschreiten galt. Die schmale Straße, an deren Rand die Warntafel in den frostigen Boden gerammt war, knickte kurz vor dem Wald gen Norden ab. Ein alter, schon sehr überwucherter Wegesteil hingegen zeigte an, das der Verlauf ursprünglich direkt in den Wald weiter ging. Offensichtlich mieden die Orks den düsteren Wald und hatten eine neue Straße angelegt, die den Wald umgeht, dachten wir uns.

Wir bewegten uns also in den Wald hinein und entdeckten alsdann auch bald einen schwer zugewucherten Weg, der wohl einst eine Straße gewesen war, die das Gehölz durchquerte. Mein Brüderchen machte uns nach einer Weile auf einen kaum zu vernehmenden elfischen Gesang aufmerksam, der sich wie eine Form des rituellen Brummelns anhörte. Der Geräuschquelle folgend stießen wir sehr überrascht auf vier Waldelfen, die uns in mehreren Sprachen ein "Bleibt stehen!" zuriefen. Noch bevor wir sie tatsächlich zu Gesicht bekamen, befragten sie uns aus sicherer Entfernung. "Wir sind die Stimmen des Waldes! Wer seid ihr?" Wir bekundeten unsere friedvollen Absichten, nannten unsere Namen und sogleich trat die vierköpfige Patrouille vor uns. "Ob Ihr den Wald passieren dürft, ist noch zu entscheiden. Wir erkennen aber in euch unser Los. Folgt uns nun!" Gesagt, getan. Hinter den vier Elfen, zwei von ihnen stimmten wieder diesen Ritualgesang an, stolperten wir also Stunde um Stunde durch das Dickicht, dem Ungewissen einmal mehr entgegen. An einem Punkt hielten wir dann an und entsprachen der Bitte unserer Führer, so dass uns die Augen verbunden wurden. Tiefer und tiefer in den Wald gelangten wir und nach zirka zehn Stunden an einen Punkt, an dem wir Stimmen und Laute hörten, die nur von einer größeren elfischen Siedlung herrühren konnten. Und tatsächlich - Beim Barte meiner Mutter! Unser Ziel war also das Dorf freier Elfen, inmitten von Imreth Daar, gewesen. Als man uns die Augenbinden abnahm, waren wir bezaubert von der Schönheit des anmutigen elfischen Treibens. Offensichtlich entflohene Sklaven, die hier im hohen Norden eine Heimstätte gefunden hatten. Um einen Markt- und Versammlungsplatz herum waren in der geräumigen Lichtung die Behausungen am Saum der Ghor-Bäume kunstvoll in den Wald eingebettet, man hörte das Hämmern und Schlagen handwerklicher Betriebsamkeit, lauschte wundervollem elfischen Singsang... Zwei unserer Begleiter eilten fort und geboten uns, hier auf sie zu warten. Sie schritten auf ein am nördlichen Ende des Platzes, sehr zentral gelegenen Zelt zu, um das sich herum eine Traube von Elfen gesammelt hatte. Nach zwei Minuten kamen sie in Begleitung eines anderen Elfen wieder, der sich mit Namen als Andar vorstellte. Andar befragte uns nach unserer Herkunft und unseren Wegen auf den Pfaden Chemlons und wir berichteten ihm frank [sic!] und frei von unserem langen Leiden in der Sklaverei und dem göttlichen Auftrag.

"Die Götter schicken euch? Nun denn, mag es sein, dass die Vorhersehung euch auch zu uns schickte. Unser Clan steht vor einem großen Problem. Wenn es denn die Götter so wollen, dann seid ihr wohl hier zur rechten Zeit. Ich bin verzweifelt. Mingol, unser Clanchef, wurde von einem Syhaak angefallen und liegt schwer verletzt danieder."

Wir boten Andar uneigennützig unsere Hilfe an und er zeigte sich sichtlich im Gemüt erleichtert, sah es doch für ihn wie gottgesandte Unterstützung aus. Er sagte uns, dass die Heil- und Kräuterkundige des Dorfes, eine Frau namens Cleriven, bei ihrer Suche nach heilenden Gewächsen für das Clanoberhaupt von Orks gefangen genommen worden war. Meine bescheidenen Künste auf heilenden Terrain bot ich an und wir betraten das Zelt des Mingol, der aufgebahrt und wie in Trance dort lag und drauf und dran war, das Zeitliche zu segnen. Bei meiner Untersuchung seiner Wunden nahm ich einen schwachen Restabdruck im Astralraum wahr. Die Diagnose war eindeutig: eine Art von dämonischer, dunkler Magie lag auf den Wunden und der Syhaak musste also von Dämonen korrumpiert worden sein. Andar berichtete, dass diese Feststellung sich mit der Annnahme der verschleppten Cleriven decke. Diese sei dann losgezogen, um einige Kräuter zu finden, die eine Kur für die schweren Verletzungen sein könnten. Andar bat uns folgerichtig, die Frau aus den grausamen Klauen der Orks zu befreien. Seine Späher hatten ihm berichtet, dass sie nun schon einen Tag Gefangenschaft in einem nur einige Kilometer entfernten Ork-Dorf erleiden musste. Die aus dieser Ausgangslage resultierende Aufgabe umfasste also zwei Teile. In erster Linie sollte der Versuch unternommen werden, Cleriven zu befreien. Zweitens mussten wir dringend und schnell einen Weg zur Heilung des Mingol finden. Andar erzählte uns derweil noch weitere, aufschlussreiche Einzelheiten zur Geschichte der Elfen von Imreth Daar. Vor langer, langer Zeit war bei einem großen Gefangenenausbruch eine stattliche Menge von Elfen aus der nordischen Sklaverei entkommen. Ihre hastige Flucht, gefolgt von den orkischen Häschern, führte sie in den großen Wald, genannt die schwarze Insel. Dort trafen sie auf den mächtigen Geisterbeschwörer Mingol, der Gebieter der Geister des Waldes geworden war. Er nahm die Flüchtlinge auf und organisierte die "Angst". Mingol gaukelte den Orks erfolgreich vor, dass in diesem Wald den Tod bringende Geister hausen. Als ich diese Worte hörte, frohlockte ich und spürte ein Zittern der Erregung, welches mich durchfuhr. Mingol könne bei Genesung mein Lehrmeister werden, dachte ich und fieberte nun seiner Heilung umso mehr entgegen. Alles, schwor ich mir, wollte ich tun, um dieses Ziel zu erreichen. "Deshalb, liebe Freunde", so fuhr Andar fort, "müsse sicher gestellt werden, dass Cleriven befreit werde". Und sei sie nicht lebend zu retten, so sei ihr durch unsere Hand der Tod zu bringen, denn die Folter der Orks bringe sonst die Gefahr, dass die Kräuterkundige den Aufenthaltsort der Elfen des Waldes verraten werde. Unsere Aufgabe war also klar und unmissverständlich umrissen. Selber konnten sich die Mannen von Andar nicht an der Befreiung beteiligen, denn auch dies berge die Gefahr der Entdeckung ihres Refugiums. Gleich werden wir uns auf den Weg machen, eine neue Seite im Heldenepos mit ehrenvollem Inhalt zu beschreiben.

31. Januar
Das alte Spiel "Rein- Hau drauf - wieder raus" hat glänzend funktioniert. Wir klopften uns heute gegenseitig auf die Schulter. Nachdem Kha`na Wa dies bei Val`Kiisar tat, klagt er über Beschwerden am Schlüsselbein.

Auf dem Weg zum Ork-Dorf wurden wir von einer Elfen-Patrouille bis zum Waldesrand begleitet. Orcana unternahm dann aus gesicherter Entfernung einen Erkundungsflug, um die Ansiedlung auszuspähen. Als sie mit wertvollen Informationen zurückkehrte, schmiedeten wir den Befreiungsplan. Die Kräuterkundige war im Zentrum des Dorfes auf einer Art Marktplatz an einem Pfahl angebunden worden, bewacht von nur einem Ork. Zu diesem Punkt führte von Süden her eine grade Strasse. Auch Stallungen und Heuscheunen, Wohnhäuser und eine Schenke konnte Orcana ausmachen. Unser Bogenschütze Thal Rhasank sollte im Schutze der Nacht westlich des Dorfes Stellung beziehen und in der Blauen Stunde des dunstigen Morgengrauens mehrere Gebäude dort mit Brandpfeilen eindecken. Val`Kiisars Aufgabe war ein vorsichtiges Anschleichen von der Ostseite her, die uns schlecht bewacht vorgekommen war. Er sollte sich bis zur Gefangenen vorpirschen. Und in dem Moment, in dem von den Orks Alarm geschlagen werden würde, also Chaos und Verwirrung einsetze, sollten Kha`na Wa auf seinem Reitwesen Celeborn und ich in der Werwolfgestalt gradewegs den südlichen Weg in die Siedlung hinein, vorbei an Gasthaus, hin zu Gefangenen jagen. Thal Rhasank, sollte aber schon nach den ersten Feuerpfeilen zum südlichen Eingang sprinten, um von dort aus weitere Ställe und Gebäude in Brand zu setzen. Natürlich wollte ich auch meinen Geisterwolf herbeizaubern, der mir bei dieser stürmischen Attacke von großer Hilfe sein könnte.

Was soll ich weiter unseren genialen Plan umschreiben, der so glänzend aufging und zur Befreiung der Elfin führte? Rein und wieder, Kha`na Wa schlug der Orkwache den Kopf in einem Hieb ab, ich zerfetzte einen schläfrigen Ork, der aus einem Haus stolperte, Val band Cleriven vom Pfahl, so dass sie sich mit auf Celeborn setzte und mein Brüderchen hüpfte schnell auf meine Wolfsschultern und allesamt ritten und rannten wir wieder von dannen. Thal Rhasanks Feuerhagel hatte inzwischen überall neue Brandherde geschaffen und wir waren uns bei der Flucht sicher, dass die Orks reichlich beim Löschen zu tun hatten und eine Verfolgung der Angreifer auszuschließen sei.

Eine Unterredung mit der geretteten Cleriven ergab, dass sich zwei der drei benötigten Kräuter zur Herstellung des Heiltrankes für Mingol sich in meinem Besitz befanden. Die dritte Zutat fanden wir auch schnell, denn sie wusste, wo wir diese finden könnten. Dann eilten wir in größter Hast zurück in den Wald, wo der Trank zur Rettung des Clanoberhauptes benötigt wurde. Val kam grade zu mir gestürmt, Mingol ist wieder bei Bewusstsein und will mit uns am Abend sprechen. Später mehr...

1. Februar
Mingol dankte uns für seine Errettung, zu der wir viel beigetragen hatten. Er erzählte uns seine Geschichte und wir erhielten zum Dank segensreiche Geschenke. "Freunde des Clans, ich bin in eurer Schuld und möchte euch von mir erzählen, um Licht und Wissen zu spenden. Vor vielen Hunderten von Jahren kam ich aus dem tiefen Süden in diesen Wald, denn ich hörte von einem Geist, der hier wohnen solle. Als junger Beschwörer zog mich diese Geschichte natürlich an. Als einziger Überlebender meiner Reisegruppe kam ich auch tatsächlich unbeschadet zu diesem Orte. Ich fand auch den Geist, der mir sehr half, meine Fähigkeiten zu entwickeln.. Wir gingen eine Partnerschaft ein und konnten uns viel erzählen. Auch kamen wir überein, den Wald als eine Heimstätte für umherirrende Geister zu errichten. Ein mächtiger Zauber lockte fortan viel Geister an. Später, sehr viel später, liebe Freunde, verschwanden die Geister wieder, gezogen von einem mächtigen Sog, der sein Zentrum im Kreuzgebirge hatte. Davon allerdings ein anderes Mal, denn es ist eine trübsinnige Geschichte, in der vom Scheitern einiger Helden erzählt wird. Den eines Tages hier strandenden, flüchtigen Elfen bot ich den Wald und meine Hilfe an, um ihnen die Leiden der Sklaverei vergessen zu machen..."

Vielen Fragen wurden gestellt und viel Erklärendes an diesem Abend gesagt. Mingol bestätigte unsere Annahme, dass das Buch "Die Begehung des Jenseits" ein mächtiger Gegenstand sei, der nicht in die Hände der dämonischen Dunkelheit fallen dürfe. Ob allerdings Vrork, der Geisterbeschwörer im fernen Süden, der Erforscher der Niederwelten derjenige sei, dem wir es vorlegen sollten, sei ihm nicht bekannt. Allerdings sei es auch eine Macht im Kampf gegen die Dämonen, denn könne man es erst richtig anwenden und verstehen, so sei damit eine Vernichtung von Dämonen möglich. Und zwar eine endgültige Vernichtung dieser Wesen jenseits vom Diesseits.
"Ich mache mir große Sorgen, denn wenn ein Syhaak hier im Walde von einem Dämon korrumpiert wurde, so ist dies sicher kein gutes Zeichen...", fuhr Mingol fort und mir keimt langsam die Erkenntnis, dass nicht nur die Anwendung des mystischen Buches eine Gefahr sei. Was, wenn die Dämonenscharen erführen, dass ich im Besitz des Buches bin? Was, wenn es einen Zusammenhang zwischen dem Auftauchen des Dämons auf der Insel und dem dämonischen Treiben hier gäbe? Sie könnten ja theoretisch bereits unsere Fährte aufgenommen haben und uns suchen. Mir schaudert es bei diesen Gedanken und ich werde meine Befürchtungen meinen Freunden noch nicht erzählen, denn grade hier in diesem paradiesischen Refugium der Elfen scheint es ihnen so gut zu ergehen. Wir alle blühen hier wahrhaft auf.

Später sagte mir Mingol zu, dass er mir Skizzen anfertigen werde, aus denen ich viel über die Kunst eines Geisterbeschwörers lernen könne, auch wenn wir uns schon wieder auf den Weg gemacht haben. Val`Kiisar und ich bekamen zum Dank auch je drei magische Sprüche erklärt, während Mingol den Thal Rhasank mit einem Köcher voller Pfeile beschenkte, die mit einem orkischen Betäubungsgift versehen sind. Als Kha`na Wa beschenkt wurde, dachte ich grade über eine hübsche Elfin nach, die ich zuvor sah. Ich habe also keinen blassen Schimmer... Ist mir auch egal, denn der Riese redet immer häufiger Grütze und daddelt immer mit seiner komischen Braut rum.