Die Wölfe kamen
schon die Böschung nach Jasch' Gorn herauf und knapp hinter ihnen
hasteten die schnaubenden Orks, in der Hand große Krummsäbel
und auf dem Brustpanzer das rote Wappen Waan's. Es waren viele, zu viele
für ihre kleine Gemeinschaft von Dunkelelfen, auch wenn ich sie eine
zeitlang aufhalten könnte - das Ende war nah als ich aus meinem Traum
gerissen wurde und schweißgebadet und nach Luft schnappend auf meinem
Nachtlager saß. Schon wieder dieser Traum, fast jede Nacht raubte
er mir den Schlaf und mit jeder Nacht wurde er deutlicher. Es waren Sklavenjäger
aus dem fernen Norgroth, dem Orkkönigreich in der nördlichsten
Ecke Chemlons. Hier in der Gegend waren bisher keine aufgetaucht, aber
sollte es bald soweit sein, sollten die dunklen Mächte ihre Finger
bis zum Kreuzgebirge und sogar bis in ihre abgelegene Enklave ausstrecken?
Hierher hatte ich einen kleinen Teil meines Volkes nach den großen
Kriegen geführt, nachdem es unmöglich geworden war, in der Nähe
der Menschenvölker zu wohnen, nach all den Gräueltaten.
Viel zu hastig für meine alten, gebrechlichen Knochen ging ich den
kleinen Berg, den höchsten Punkt von Jasch' Gorn hinauf, ich brauchte
Bewegung, einen klaren Kopf und mehr Informationen, denn eine Unruhe stieg
in mir auf, wie ich sie seit Hunderten von Jahren nicht mehr verspürt
hatte. Die Nacht war klar, kalt und am Horizont im Norden war der Mond
gerade aufgegangen, Wolkenfetzen hasteten an ihm vorbei wie gehetzte Tiere.
Es war ruhig, zu ruhig für eine so helle Nacht. Lange starrte ich
in den Vollmond hinein und immer stärker ergriff mich die Unruhe,
"Geladion" schrie ich in die Nacht hinein, "was willst
du von mir, habe ich dir nicht oft genug meine Treue bewiesen - oder bist
du es Shuzuk, die mich nicht loslassen will, ich diene dir nicht mehr!"
Meine Gedanken vernebelten sich, Mond und Sonne kreisten in ihren Bahnen
in meinem Kopf, schneller und schneller - dann begannen die Wolken sich
zu verformen, sie zeigten spitze Felsen, wie Zähne, und aus ihnen
quoll Rauch, der sich formte zu zwei, ja zu zwei Säuglingen und weiter
drehten sich rasend Sonne und Mond. Die Rauchschwaden wurden zu Kindern,
die unbekümmert spielten, dann zu Jünglingen die zu lesen schienen.
Die Bilder wurden undeutlich, aber Sonne und Mond zogen ihre Bahnen, wurden
langsamer und verschwanden, der Rauch aber zeigte seinen Traum, deutlicher
als je zuvor sah er die Orks über Jasch' Gorn herfallen und sein
Volk abschlachten, bis alle außer den Jünglingen leblos am
Boden lagen. Die Orks zogen Richtung Norden, und der Weg wirkte kalt und
unbarmherzig.
Plötzlich war ich wieder bei Sinnen und mein Kopf dröhnte, ich
lag auf dem Boden und meine Hände krallten sich in den Boden, am
Mond zogen Wolkenfetzen vorbei und es war letzte Tag im Jahr 680 des dritten
Zeitalters.
Es herrschte Freude,
denn nach Jahrzehnten gab es endlich wieder Nachwuchs, zwei Jungen erblickten
das Licht von Jasch' Gorn, es war der erste Tag des Jahres 682.
Die Geburten waren allerdings schwierig gewesen und die Mutter Gulgaur
starb im Kindbett, das Kind der Mutter Kiisar rang lange mit dem Tode,
es war klein und von schwächlicher Natur. Beide Väter wurden
seit Wochen vermisst und da die Gerüchte von Orks und anderen Unholden,
die sich am nördlichen Rand des Kreuzgebirges herumtrieben immer
häufiger wurden, hatte niemand mehr die Hoffnung, dass sie zurückkehren
könnten. So nahm ich mich der Kinder an und wollte ihnen wie ein
Vater sein. Im Angedenken erhielten sie die Namen ihrer echten Väter,
Moriater Gulgaur und Val' Kiisar.
Die beiden wuchsen
wie Brüder auf, es waren schöne Kinder und von Beginn an allem
interessiert, aber äußerlich hätten sie kaum unterschiedlicher
sein können. Moriater hatte tiefschwarzes Haar und war von kräftiger
Statur, Val dagegen war, für Dunkelelfen ungewöhnlich, fast
blond und von Geburt an sehr schwächlich. Ich versuchte ihnen so
gut es geht in meinem Alter Vater zu sein. Das einzige, wonach die beiden
schon als Kinder ohne Unterlass verlangten, war Wissen - Wissen über
die Hintergründe und über das Wesen der Dinge, die Magie. Sie
verschlangen alles, was ich ihnen an Literatur gab und stellten ohne Unterlass
Fragen.
Die Versammlung der Alten beschloss auf meinen Rat, aufgrund der drohenden
Gefahr aus dem Norden, weiter Richtung Süden zu ziehen. Trotz massiver
Proteste beharrte ich darauf, mit den beiden Kindern zu bleiben, denn
ihr Schicksal sei vorbestimmt und eine Flucht würde dieses nicht
ändern, höchstens verschlimmern. Die Versammlung stimmte zu
und einen Monat später brachen alle auf, außer den Kindern,
Mutter Kiisar, mir und einigen der ältesten, da ihnen eine Reise
zu beschwerlich wäre und auch ihr Schicksal besiegelt sei. Es war
der sechste Tag des Jahres 687.
Im Laufe der kommenden
Zeit zeigten sich Unterschiede der beiden Kinder. Val war sehr ruhig und
konnte sich mit theoretischen Fragen der Magie lange beschäftigen
und war in der Lage die tiefergehenden Fragen des astralen Äthers
zu verstehen. Moriater dagegen war ungeduldiger und wollte die praktischeren
Dinge des Astralen und die Bewohner kennen lernen, die Geister und Dämonen.
Ich versuchte ihn davon abzuhalten, denn ich erkannte mich in frühen
Tagen und sah die Macht, die schrecklichen Versuchungen und Gefahren,
die daraus erwachsen können. Doch meine Mühen waren zu spät
oder grundsätzlich vergebens, denn das Schicksal war vorherbestimmt.
Ich wusste, das Ende war nicht mehr fern. Ich hatte versucht den beiden
Jünglingen alles beizubringen, was ich für wichtig erachtete,
jetzt war die Zeit gekommen, praktische Vorbereitungen zu treffen. Schon
seit Jahren sammelte ich die daumendicke Wurzel des äußerst
seltenen Karaum-Baumes, sie war zäh und schmeckte sehr bitter, konnte
einen Körper aber fast eine Woche mit dem lebensnotwendigsten Versorgen
und schützte vor Krankheiten. Mutter Kiisar hatte lange an widerstandsfähiger
und warmer Kleidung für die Jungen genäht, denn die Ebenen des
Nordens waren kalt und unbarmherzig.
Als ich den Jünglingen von den kommenden Ereignissen erzählte,
merkte ich, dass sie es schon geahnt hatten, denn sie wirken gefasst und
ergaben sich ihrem Schicksal. Am Vorabend verabschiedete ich mich von
ihnen und von Mutter Kiisar.
Früh Morgens
begann ich diese Zeilen zu schreiben und bei dem letzten Federstrich hörte
ich Rufe und Schreie, die Wölfe kamen schon die Böschung nach
Jasch' Gorn herauf und knapp hinter ihnen hasteten die schnaubenden Orks,
in der Hand große Krummsäbel und auf dem Brustpanzer das rote
Wappen Waan's - ich ging hinaus, es war der elfte Tag des ersten Monats
des Jahres 692.
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